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„Macbeth” im Volkstheater

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Viele Shakespeare-Stücke, nahezu alle Tragödien, weniger die Lustspiele, sind heute auf der Bühne ein Wagnis. Es fehlen dem Menschen der „zweiten Aufklärung”, die heute um die Welt läuft, nahezu alle inneren Voraussetzungen, um zu begreifen, was hier gespielt wird. Das zeigt besonders deutlich der „Macbeth”. Der höfische, spielerische Glanz des Elisabethanischen England, der vornehmen adeligen Herren, für die Shakespeare spielte und dichtete, verdeckte für viele und für Jahrhunderte, wie weit Shakespeare zurückgreift: in die Eingeweide der Vorzeit, in eine Welt des Chaos, in der, ähnlich wie im „Beowulf” und anderen Epen der Frühzeit, gewaltige und gewalttätige Menschen im Kampf mit Monstren, mit Ungeheuern, Gorgonen und Medusen, siegen und erliegen. Der Schottenkönig Macbeth ist ein solcher Recke der Vorzeit, der der List der „Unholden”, der Hexen, der „Mächte” erliegt, nachdem er ihnen trauend, durch Mord und Untat sich die Krone erkämpft hat. Diese Hexen Shakespeares im Macbeth sind etwas anderes als die Hexlein späterer Zeit. Wer an diese Mächte nicht glaubt, nicht mehr in dieser Gestalt zu glauben vermag, für den fällt das Stück zu einem grausigen Spuk zusammen. — „Macbeth” zu spielen ist also heute sehr, sehr schwer. Erstaunlich, wie stark die von Leon Epp betreute, der sprachlichen Erneuerung durch Karl Kraus folgende Aufführung im Volkstheater doch wirkt. Das Hauptgewicht liegt mit Recht auf dem .ungleichen Zweikampf zwischen den Hexen (die Hexen unter Führung Elisabeth Epps, Dorothea Neff als Hekate) und Macbeth (Otto Woegerer), wobei Lady Macbeth in Hilde Krahl die Moderne verkörpert: Leidenschaft einer Individualität, und Gewissen. Macbeth, archaisch, steht noch vor der geschichtlichen Stufe, in der der Mensch das Gewissen erwirbt, als jene höhere Flamme, die die Lichter der Tiefe überwindet. Von den fünfunddreißig Rollen sind zumindest zu nennen: Aladar Kunrad als Malcolm, Hans Hais als König Duncan, Hans Rüdgers als Banquo. Das Bühnenbild von Carl . Wilhelm Vogel, stilisierte Drohungen, hilft sehr mit, das Ungeheuerliche, Entgrenzte dieses archaischen Dramas in einen faßbaren Rahmen zu bergen.

Philemon und Baucis — modern

In der griechischen Sage dürfen Philemon und Baucis miteinander sterben, weil sie Götter beherbergt haben, während de Partisanenkrieges muß Nikolaos an den Galgen, weil er zuerst Freiheitskämpfer seines Volkes und dann zwei deutsche Verwundete in sein Haus aufgenommen hat, und Marulja geht freiwillig mit ihm. Daß die beiden gar keine ins Moderne übertragenen Sagengestalten, sondern im ersten Akt noch ein streitendes Ehepaar sind, dessen höchstes Gut die Anisflasche zu sein scheint, macht das Werk von Leopold Ahlsen richtig lebenswahr.

Was sich 1944 in Griechenland während des deutschen Rückzuges vollzog, wiederholte sich gestern noch auf Zypern und ereignet sich heute in Algerien. Schuldig sind nicht die Freiheitskämpfer und nicht die Okkupanten, schuldig ist der Krieg, schuldig ist das Unrecht in jeder Gestalt. Und Sieger, auch über den eigenen Tod hinaus, sind alle, die in dieser Zeit Menschen bleiben können, Menschen über die Gräben hinweg.

Das Theater für Vorarlberg, dessen Direktor Wegeier schon viel Mut gezeigt hat, hat mit der Aufführung von Ahlsens „Philemon und Baucis” eine Tat gesetzt. Das ist ein Stück, das nach den Gesetzen der griechischen Tragödie „Furcht und Mitleid” weckt. Es bedarf sehr starker Darsteller. Richard Riess ist ein solcher. Sein Nikolaos, der Ziegenhirte in den griechischen Bergen, ragt an seinen Höderer in den „Schmutzigen Händen” heran. Eine packende Partnerin ist Augusta Ripper als ewig keifende, innerhalb des Spiels zu antiker Größe aufsteigende Marulja. Auch die anderen Rollen, Partisanen und „Germani”, sind trefflich besetzt. Ein Extralob gebührt Dorit Amann in der Episodenrolle der Partisanenbraut.

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