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Ein neuer Shakespeare

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Das Akademietheater bringt in einer bezaubernden Aufführung Christopher Frys „Venus Observed“ unter dem Titel „Venus im Licht“ heraus (Regie Josef Gielen, Bühnenbild Sepp Nordegg). Dem Wiener Theaterpublikum ist „Lady's not for Burning“ („Die Dame ist nicht fürs Feuer“) noch unbekannt, es kann deshalb die innerste und kostbarste Dimension dieser „Komödien“ noch kaum erfassen; dennoch folgt es fasziniert der glanzvollen Aufführung. Im eben genannten Schauspiel wird das Ringen um das Verbrennen beziehungsweise Nichtverbrennen einer Hexe — das Stück spielt in einem gegenwartsnahen Mittelalter, in wunderschönen Versen gelöst zu einer ironisch-scherzenden Ballade, in der Todesbangen und Melancholie des ewig einsamen Herzens verschmilzt mit scheinbar schwerelosem Tändeln und Scherzen. Es wäre schön gewesen, wenn wir diese Hexe vor der „Venus“ auf der Bühne hier zu sehen bekommen hätten: es wäre dann noch klarer geworden, wie kostbar diese „Komödien“ wirklich sind. Fry ist, mit allen echten Mystikern, der Ueberzeugung, daß es zuallermeist eine falsche Traurigkeit ist, als Eitelkeit und Selbstsucht des sentimentalischen Ichs, welche die Welt immer wieder dem Teufel in die Hände spiel.t. Die Heiligen sind gewandet ganz in Freude, mag unter dem bunten Kleid der Zeit sich auch ihr Geist in tausend Nöten verzehren. Der höfische Mensch des Barocks, der alte gentleman auch, wußten, was dies bedeutet: keep smiling. Lächle, lache, gerade wenn es ernst wird. Der Weise hat die Pflicht, heiter za sein, der adelige Mensch muß es zumindest scheinen, mag auch seine Welt bereits in Flammen stehen, oder nicht mehr sein als eine Insel im Herbst. — Fry hat sich also mit den höchsten Meistern des geistigen Lebens und der Kunst die Aufgabe gestellt, Freude zu lehren durch die Masken seines Spiels. — Ein englischer Herzog lädt, im Herbst seiner Jahre, drei Jugendlieben ein, und heißt seinen Sohn, jener den Apfel des Paris zu geben, die seine Gattin werden soll. Des Vaters Gemahl, so wähnen zunächst die beiden Männer. Flattert, wie ein Herbstfalter, ein junges Ding herein (Hilde Mikulicz), das beide entzückt. Vater-Sohn-Tragödie? Ja, durchaus, aber nicht im Stil barbarischer Morddramen, sondern anders, aufgelöst scheinbar in ein Gespinst von Herbstsonnenstrahlen (das Spiel beginnt mit der Beobachtung einer totalen Sonnenfinsternis). Man muß sehr genau hinhören, dann aber wird man belohnt. Alle die schrecklichen und geschichtlichen Motive dieses Kampfes der Generationen und Geschlechter sind zugegen — also: Mord und Totschlag, abgründiger Haß, Neid und Verfemung, Lüge und Verleumdung, aber wie: verwandelt in großartige Gesten eines großen Spiels, das mit höfisch-verhaltener Geste „andeutet“ und sagt: o Mensch, hab acht, tief ist die Nacht... Das Aufbegehren des jäh von der Besitzgier des Mannes angefallenen Weibes löst sich hier etwa im Pistolenschuß auf den fatalen Apfel, der Mordanschlag des Sohnes auf den Vater ist ein sportlicher Bogenschuß, der beinahe tütet (der Sport erfüllt in der englischen Geschichte die unvergleichliche Rolle der Bindung und Entladung grausamster mörderischer Instinkte). Die Med«a-Rache der scheinbar verschmähten Tragödin löst einen Brand aus, der den Schloßturm verzehrt, und, entgegengesetzt der Wirkung historischer Brände (auch beim Beginn der großen englischen Revolution hieß es: Das Parlament brennt!), hier den Knäuel der Schuld und der Komplexe entwirrt. Unter der Einwirkung des Brandes entschließt sich der ungetreue Verwalter, seine lebenslange Betrügerei einzugestehen, der Herzog die Attentäterin zu heiraten, der Sohn erhält den Falter. — Es empfiehlt sich, das Stück zweimal anzusehen, da es leicht möglich ist, daß die Musik der Sprache Frys, vielleicht sogar die prächtige Darstellung den Geist ablenkt vom Erfassen der Weisheit und Menschlichkeiten, die diese „Komödie“ birgt. — Eine schwere, dunkle echte Melancholie („Poesie der Einsamkeit“, wie bei den großen Spaniern), ein großes Wissen und ein großes Verzeihen steht, als Stern der Humanität, hinter den Masken dieses Spiels. Das gibt Raoul Aslan, als Herzog, die Gelegenheit zu einer Entfaltung seines Könnens und einer Spiritualität, die sich, auf unserer Bühne, nur mit seinem Rudolf II. im „Bruderzwist“ vergleichen läßt. Die Damen Seidler, Schreiner, Wagener und Mikulicz bilden, mozartisch und hochintellektuell im Zusammenspiel, ein Quartett, wie wir es seit Eliots „Cocktailparty“ nicht mehr sahen. Den jungen Marquis gibt Trojan mit bezaubernd verhaltenem Scharm, die shakespearischen Typen „Verwalter“, „Butler“, „Diener“ markieren prächtig Hans und Hermann Thimig und Hölbling. — Wie sinngerecht das Zufallsdatum der Premiere: am Faschingsamstag,, drei Tage vor Aschermittwoch.

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