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MARCUS T. CICERO / VOR 2000 JAHREN BEI FORMIA...

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Am 7. Dezember vor 2000 Jahren starb mittwegs der Straße von Rom nach Neapel ein großer Römer durch Mörderhand.

Dank dem gut ein Jahrhundert später lebenden Griechen Plutarch liegt sein Lebensweg von Beginn an klar vor uns. Ein seltenes Schicksal, gewachsen aus Uebermaßen von Intelligenz und Geltungsdrang! Der Vater, fast ein verhinderter Buchweiser, dessen Vorfahren wie er jahrhundertelang Erbsen (lateinisch: cicere — daher der Name!) angebaut hatten, verpachtete bald sein Gut und zog mit Marcus Tullius und dem um fünf Jahre jüngeren Quintus nach Rom, um dort die erkannten Anlagen seines Aeltesten zu entwickeln.

Ein Knabe noch, lernte Tullius die Kunst der Rede bei den besten Rhetoren der Weltstadt. Kaum sechzehnjährig, ergriff er das Rechtsstudium bei dem berühmten Juristen und Augurn Quintus Mucius Scaevola und trat bald mit größtem Erfolg als Anwalt in Zivil- und Strafsachen auf. Aber er wollte mehr. Der Siebenundzwanzigjährige reiste nach Athen, wo er, lernbeflissen wie nur einer, zwei Jahre lang die griechische Sprache und — wichtiger — die griechische Philosophie, damals für die Römer ein Buch mit sieben Siegeln, studierte. Er hatte sein Ziel höher gesteckt, als der Vater und die Freunde ahnten: Im Gegensatz zu den meisten, damals „Große" genannten Männern, die sich in Politik, Kriegshandwerk, Verschwörungen, Weiberaffären vorzeitig verbrauchten, wollte er seine Geistesgaben nutzen, um auf höchste Höhen zu steigen, mächtig, reich und geehrt zu werden. Deshalb schaute er sich, als er. knapp dreißigjährig,, nach Rom zurückkehrte, nach einer wohlhabenden Frau um — und fand sie.

Nie wieder erreichter Höhepunkt seines Lebens ist das Jahr 63. Der 43jährige Cicero wird Erster Konsul der von ihm heißgeliebten Republik, die von Verschwörern umstellt ist

— eigentlich ein Jahrhundert lang! ln s e i- n e m Konsulatsjahr droht das Geschwür aufzubrechen: Catilina und seine Spießgesellen tauchen erneut auf. Die fünf catilinarischen Reden werden Dokumente seines blendenden Prosastils, deren drei letzte noch heute die Qual der Gymnasiasten der Oberstufe bedeuten, während es Cicero, was damals wich tiger war, mit den beiden ersten Reden gelang, Catilina aus Rom zu verjagen und die Republik zu retten. Ein Triumph sondergleichen, in der Wirkung eine politische Großtat, die ihm den hehren Titel „Pater Patriae“ einträgt. Das kleine Volk jubelt ihm zu.

Cicero war kein Politiker. Er beweist es bald darauf, als er sich vom Senat die Vollmacht geben läßt, die in der Stadt verbliebenen, schwer belasteten Catilina-Anhänger, alle, wie auch Catilina, Leute von seltenstem Adel, hinzurichten. Ein Mann protestiert, ein Patrizier größten Formats,

Cajus Julius Cäsar. Cicero überhört die doch unüberhörbare Stimme. Hier zeigt der große Redner, daß ihm der politische Instinkt fehlt. Die Hinrichtung der fünf Catilinarier ohne förmliches Gerichtsurteil, die einer der größten Humanisten seiner Zeit wider seine Natur befiehlt, läßt ihn tief stürzen: Achterklärung und Verbannung! Fünfzehn Monate währt sein Aufenthalt im armseligen Hafenstädtchen Dyracchium (heute Durazzo in Albanien), die ąualvollsten seines Lebens.

Seine Briefe aus der Verbannung künden tiefste Verzweiflung. Sein treuer Freund fürs Leben, Attikus, glaubt, er habe den Verstand verloren. Aber kaum kommt Cicero, dank den für ihn günstiger gewordenen politischen Verhältnissen, zurück, stürmt er wieder zu den Gipfeln seiner Beredsamkeit und Geltungsfreude, welche die politischen Gegner mit Spott, Hohn und furchtbaren Anklagen

— alle gut begründet! — unschädlich zu machen suchen. Gegen den nach der Ermordung Casars (44) übermächtig gewordenen Mark Anton schleudert er nach dem Beispiel des Demosthenes „Philippiken“ genannten vierzehn Brandreden zugunsten der Republik. Sein Tod ist nun beschlossene Sache.

„Was bleibt?“ — so fragen die Menschen von heute, 2000 Jahre nach seinem Tod.

Es bleibt die Erinnerung an den trotz allem aufrechten Kämpfer für Freiheit und Menschenwürde, es bleibt vor allem sein Werk, seine zahlreichen politischen und philosophischen Schriften, deren er, wie der scharf- züngige Theodor Mommsen sagt, „mit ebenso großer Verdrießlichkeit wie Eilfertigkeit in ein paar Monaten eine Bibliothek zusammenschrieb“. Es bleibt, viel bedeutsamer, der Schöpfer des lateinischen Prosastils, der diese Sprache unsterblich machen sollte.

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