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Mehr als eine Sängerin...

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LOTTE LEHMANN... MEHR ALS EINE SÄNGERIN. Von Berndt W. Wessling. Residenz-Verlag, Salzburg, 210 Seiten, S 225.—.

„Liebste Lotte! Wie glücklich — aber auch wie weise — wäre ich, könnte ich auf Deinen Brief, der von Deinen Zweifeln, Deinem Suchen spricht, einfach so antworten, daß Du inneren Frieden fändest. Jedenfalls bist Du durch Dein Denken an den Tod den vielen Gedankenlosen geistig und moralisch überlegen, die nichts davon wissen wollen, die völlig unvorbereitet der all-entscheidenden Prüfung, die jeden erwartet, entgegengehen... Jedenfalls: nimm Deine Todesgedanken so ernst, wie sie es verlangen und verdienen, und alle guten Wünsche von Deinem alten Freund Bruno.“ Dieser alte Freund war Bruno Walter, die Adressatin Lotte Lehmann, die damals, im

Jahre 1961, als sie den von ihr als Menschen und Künstler Verehrten um Rat fragte, schon zehn Jahre lang auch als Konzertsängerin abgetreten war. Rund 50 Jahre lang hatte die Liederinterpretin Lotte Lehmann die musikalische Welt beglückt; die Opernsängerin ist von 1910 bis 1946, also 36 Jahre lang, auf der Bühne gestanden — und schied auch von ihr freiwillig, bevor ihr Stern zu verblassen begann und andere ihr sagen mußten, daß es Zeit wäre... Aber damit war Lotte Lehmanns künstlerisches Wirken längst nicht zu Ende: Nicht nur, daß sie ihre unschätzbaren Erfahrungen und ihr hohes Ethos an eine Reihe jüngerer Sängerinnen und Sänger weitergab: sie begann in öl zu malen, widmete sich keramischen Arbeiten und dem Glasmosaik. Das Kneten, Formen, Pinseln und Brennen bereitete ihr Freude — und sie verstand etwas davon. Zuletzt beschäftigte sie sich mit Collagen und fertigte aus Filzteilen von Sammlern gesuchte Wandteppiche an ... Diese ungewöhnliche Künstlerin, die für zwei Generaitionen von Melo-

manen mehr war als eine Sängerin, die ihnen eine beglückende Erinnerung, ein Erlebnis, Inbegriff des Künstlertums und Maßstab bedeutete, wurde 1888 in Perleberg in der Mark Brandenburg geboren, kam 1905 — ihr Vater war Ritterschaftesekretär — auf eine höhere Töchterschule nach Berlin, empfing hier ihre erste musikalische Ausbildung und trat 1910 als 2. Knabe in der „Zauberflöte“ ihr erstes Engagement in Hamburg an. 1916 wurde sie an die Wiener Hofoper gerufen, und hier blieb sie bis zum Jahr 1938, als sie Österreich freiwillig verließ. Nach 1933 wollte man Lotte Lehmann, die in Wien heimisch geworden war und von hier ■ aus ihre Triumphreisen in die Welt angetreten hatte, „aus der Provinz“ — gemeint war Wien — in die Reichshauptstadt holen. Aber diese liebenswürdige Einzelgängerin wollte nicht, sie hatte aus ihrer Abneigung gegen das neue Regime kein Hehl gemacht, und der Staatskommissar Hans Hinkel berichtete verängert: „Trotz nachgewiesener Deutsch-stämmagkeit bei Frau L. L. muß ich das Urteil über sie fällen, daß ihre politische und nationale Zuverlässigkeit vernichtend ist.“ (So wie das Deutsch des Herrn Reichskommissars.)

Lotte Lehmann wurde nicht nur vom Publikum vergöttert, sondern auch

von ihren Chefs und vielen Künstlern hochgeschätzt. Das Verhältnis zu Franz Schalk war zunächst kühl, gestaltete sich aber später auf der Basis gegenseitiger Achtung immer herzlicher. Richard Strauss hat sie als Meisterinterprtatin ziahlreicher seiner weiblichen Hauptpartien, vor allem als Marschallin, wohl am höchsten geschätzt; Toscanini machte ihr die galantesten Komplimente, und Caruso, der sie als Eurydike hörte, rief aus „Che bella magnifica vooe! Una voce itaUana“ — was wohl das höchste Lob war, das er zu spenden hatte. Thomesi Mann war verliebt in ihre Stimme, aber Erika Mann hat die realistischeste Schilderung des Menschen L. L. niedergeschrieben. Sie sei die Natürlichkeit selber, berlinert beim Sprechen aufs irdischeste, sie liebe es, zu dalbern und zu schwätzen, sei von verblüffender Direktheit und zu keiner konventionellen Floskel fähig. Das Bild des Menschen und der Künstlerin Lotte Lehmann bat der Rundfunkjouirnalist Berndit W. Wessling aus Interviews, Kritiken, Gesprächen, Briefen und Selbst-zeugnissen zu einem farbigen Mosaik komponiert. Der Verlag hat das Buch mit zahlreichen Photos und Faksimiles reich ausgestattet und ihm eine dem Gegenstand angemessene repräsentative Form gegeben.

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