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Meister und Schüler

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Die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste ist nun der Öffentlichkeit wieder zugänglich. Aus einer Privatsammluag hervorgegangen, hat sie slidi noch die Intimität bewahrt, in der ein kluger Liebhaber Stück um Stück mit Sorgfalt und Liebe zu einem Ensemble zusammentrug; eine verständnisvolle, wissenschafdidie Leitung, die nur dort eingriff, wo sich die Begeisterung des sammelnden Laien zu unwahrscheinlichen Zuschreibungen an große Meister verstieg, hat der Galerie diesen Charakter nicht genommen, der den Besucher unmittelbarer und persönlicher anspricht, als es die riesigen Bilderwände der großen Museen vermöchten. Die vorbildliche Hängung der Bilder trägt zum Genuß wesentlich bei: jedes Gemälde hat genügend Raum, erhält sich seine Individualität und verliert doch nicht die Verbindung zu seinen Nachbarn; jedem Bild ist die Höhe zugewiesen, die seinem Format, seinem Blickpunkt und seinem Lichtbedarf entspricht. Störende Spiegelungen sind vermieden. Und schließlich hat der verdienstvolle Leiter der Galerie, Dr. Ludwig Münz, das Kunststück zuwege gebracht, einen Katalog zu schreiben, der dem Laien und dem Fachmann gleichermaßen das Seine gibt.

Der Krieg hat in den Bestand Empfindliche Lücken gerissen, doch blieb ihm die Substanz und das Wertvollste, die alten Niederländer, glücklicherweise erhalten. Sie sind das eigentliche Herzstück der Sammlung. Da ist die stille Einfalt und schlichte Größe der Marienkrönung des Dierc B o u t s, der geistvolle Manierismus der Antwerpner Meister um 1500, die vielen holländischen Landschafts, und Gesellschaftsmaler und da sind vor allem die beiden Fixsterne der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts: hier Rembrandts stilles und verhaltenes Frauenporträt von 1632 und dort Rubens „Boreas entführt die Oreitnyia” in einem Wirbel von Farben, Leidenschaft und auseinanderschießenden Diagonalen. Welche

Gegensätze, welch eine Spannweite des Geistes auf einem kleinen Flecken des europäischen Kontinents! Die Deutschen des 16. Jahrhunderts und die Italiener — einer ihrer spätesten, Francesco G u a r d i, ist mit einer ganzen Kollektion lichtdurchfluteter venezianischer Veduten vertreten — und einige österreichische Barockmaler fügen sich stiller und unauffälliger ein.

Alle diese Bilder sind gleichsam durch die Jahrhunderte gefiltert worden; sie stehen in unverrückbaren Ordnungen und sind schon längst Teil der Substanz, aus der auf dem Boden Europas Kultur um Kultur emporgewachsen ist; in ihr behalten sie Gültigkeit und Wirkung. Sie nach Maßstäben des Tages zu messen, sie als „historisch”, das heißt als unwesentlich abzutun, weil sie nicht mehr unmittelbar in aktuelles Geschehen eingreifen, wäre müßig und snobistisch.

Die Schülerschaft der Akademie, die zwei Stockwerke tiefer und unbekümmert ob solch eflauditer Nahbarshaft ihre Arbeiten in einer Ausstellung zeigt, sucht natürlih die Verbindung mit dem eigenen Zeitgeist, nicht anders, als sie die jahrhundertealten Meister seinerzeit auh gesuht haben. Freilich, in den großen Erd- geshoßsälen herrscht Chaos; ungewollt „Akademisches” steht neben gewollt „Avantgardistischem”; Expressionistisches, Surrealistisches, selbst Kubistishes, jugendlihe Zynismen und shühterne Versuhe, religiöse Vorwürfe zu meistern, ergeben ein verwirrendes Bild. Indessen ist diese gärende Unruhe keineswegs unerfreulich. Die handwerkliche Qualität erreiht ein durhshnittlihes Niveau, das der Schule wie den Schülern das beste Zeugnis ausstellt; man sieht, daß ernst, mit viel Optimismus und Verantwortungsbewußtsein gearbeitet wird und man endedtt in jeder Klasse Begabungen, die einen gangbaren Weg betreten. Das ist shon mehr, als man von einer Ausstellung verlangen kann, deren Teilnehmer noh im Begriffe sind, ihr Handwerk zu erlernen.

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