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Mirakel

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900 festlich gekleidete Premierengäst sitzen am Abend des 18. Mai im Gartenbaukino zu Wien und harren der sprichwörtlichen Dinge, die da kommen. Es is1 nicht die Story des Films „W i n d j a m- m e r“, die die knisternde Spannung auslöst; sie ist eher harmlos, ein Zwischending von Spiel- und Dokumentarfilmbuch und erzählt von der abenteuerlichen Fahr: des norwegischen Schulseglers „Christian Radich“ von Oslo über Funchal au! Madeira, San Juan, Williamstadt aul Curafao, Trinidad und New York zurücl in den Heimathafen. Verlegenheit unc Enttäuschung malen sich vorerst auf der Gesichtern der Zuschauer, als der Filn minutenlang exponiert und das farbige Bild diabolisch sauber und solid auf eine fast normale Leinwand wirft. Hat man uir das Spektakel uns betrogen? Aber da rauschen plötzlich die Vorhänge, die angestrahlte Leinwand wird breit, breiter mein Gott: noch breiter, und schon pras seit der Beifall in die offene Szene: Au: hochgehenden Wellen schwankend un schaukelnd zieht der Christian Radicl majestätisch seine Spur. Das Bild saug: uns förmlich an: Wir schwanken, schau kein mit. Ein Wunder, ein Wunderchen miraculum, ein technisches Wunder, Cine miracle! Noch einige Male an diesen Abend reißt das verblüffend wirklich: Bild die Zuschauer zu Beifall hin: wem sie im Korkschlitten auf Madeira berg- und talfahren oder im Feuerwehrauto vor Brooklyn haarsträubende Kurven nehme: oder von den Lichtkaskaden eines Insel feuerwerks oder den Reklameblitzen de: Broadway geblendet werden oder wem sie, selber an Bord, durch die Tropfen spiele der Glasschutzscheibe das Unter und Auftauchen eines U-Bootes erleben Was schadet es, daß die drei gekreuz- projizierten Bildteile auf der Riesenleinwand nicht naht- und nietfest sitzen, dal das rechte Drittel konturenunscharf ist daß oben zwischen mittlerem und rechten Drittel hartnäckig ein Schmutzfleck bleck: — das Mirakel ist da. Fast vollkommei heute, morgen perfekt.

Es ist nicht das erste seiner Art in de 66jährigen Geschichte des Films. Dii ersten zappelnden Figuren des bewegtei Bildes überhaupt, die Tricks des Zauberer: Melies, Zeitraffer, Zeitlupe und Montage Rot- und Blauviragierungen, Tonfilm, Farb film, Brillen-3-D-FiIm, Breitwand, Stereo ton — Mirakel über Mirakel! Magisch dii Lucerna magica des seligen Athanasiu: Kigfhwr .1.671 magisch Jift La ;?rpa toßgici der Tschechen zu Wien im Frühjahr 1961 siADpÄ Yfftsj einen I-e r ipa.qlmn, w? das jüngste Cinemiracle des „Windjam mers“ nur als Spektakel, als für die Zu kunft des Films belangloses Riesenspiel zeug ansähe. Es ist mehr. Mit allen Faser: seiner Nerven kooptiert der Film alle Sinnhafte, alles „Wirkliche“, alles Gegen wärtige und entfernt sich solcherart konse quent immer mehr von der die Realitä bewußt abweisenden oder überhöhender Kunst, mit der der Film jahrzehntelang verwechselt werden konnte — nicht voi seinen schlechtesten Dienern! Der Filn ist, wie vieles in unserer entscheidungs reichen Zeit, ein Zwischenspiel, ei: Durchgang, ein illegitimes Verhältnis zwi sehen Kunst und Technik. Hier gibt es nu Legalisierung oder — Trennung! Filme wii „Windjammer“ haben das Verdienst, da „Verhältnis" zu klären. Es wird, je wirk lichkeitsnäher der Film sein wird (un man wird ihn ja doch einmal plastiscl sehen, riechen und schmecken können) noch klarer werden. Und der Film wir: einmal nicht mehr mit Kunst verwechsel werden können; denn er wird in der heu tigen Form im nächsten Jahrhundert nich mehr sein. Diese, und nur diese Zukunft am 18. Mai 1961 in Wien von den inflam mierten Premierengästen beklatscht, ha schon begonnen.

Nun ist, was schon seit längerem be fürchtet worden ist, erschütternd klar: I: den Sog der rätselhaften Krisis deutsch sprachiger Regisseure ist nun ‘ehernen auch Helmut Käutner hineingerissen wor den. „Schwarzer Kies", ein deut scher Zeitfilm gegen alle und alles, ist i: seiner ätzenden Amoralität verkrampft verbogen und verlogen. Das Schlimmste was einem Regisseur von Rang un Namen passieren kann: Der Wiener Ver leih kappt den leichenabundanten Schluß um den Film vor dem allgemeinen Ge lächter zu retten

Heldenhumor: Siegerstaaten können siel so was leisten. Amerikanisch, mit Jacl Lemmon, gerät so ein Film wie „A u schrägem Kurs" nicht einmal sc übel. — Autor, Produzent, Regisseur unc Hauptdarsteller in einer Person — da: kann sich nach Chaplin nur noch lern Lewis leisten: Der Film „Hallo,

Page!“ durfte es.

„Junge Leute brauchet Liebe“ — und der hungrige Kinomarki immer wieder so leichte Lustspielware Mit Heesters, Weck und Gobert ist soga: Conny Froboess erträglich.

Die Reprisen der Woche: „Lu d-

wig II.“, „Scaramouche", „Denn der Wind kann nicht lesen“ (Originalkopie) und — alle Jahre wieder - ..Die Feuerzangenbowle“. Kein Mirakel, aber eine ehrenvolle Tatsache von gestern. Die Vergangenheit des Films hat schon begonnen.

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