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Mord

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Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien haben in diesen Wochen einen bedauerlichen Tiefstand erreicht. Minen explodierten jenseits der Grenze, Maschinenpistolensalven peitschen herüber. Noten wurden gewechselt, die leicht erregbare Volksseele beginnt zu kochen. Verschiedene politische Suppen werden sowohl in Italien wie auch in Österreich an dieses Feuer gehalten.

Wenn aber Emotionen einmal freigesetzt sind, dann nimmt die politische Vernunft Urlaub. Dieses Blatt steht außer Verdacht, auch nur geringste Sympathien für den Terrorismus und seine Hintermänner zu hegen. Für Ablenkungsmanöver haben wir ebenfalls kein Verständnis. Dennoch gestehen wir offen, daß diesmal die Meinung, die Minenexplosion, die vier italienischen Soldaten das Leben gekostet hat, sei nicht das Werk von Terroristen, sondern die Folge eines gräßlichen Irrtums italienischer Stellen, einiges für sich hatte: Eine frisch zur Ablösung angetretene Kompanie sei in ein schlecht oder falsch markiertes Minenfeld einfach hineingerannt. Solche schrecklichen Unglücksfälle haben sich in den großen Kriegen mehr als einmal ereignet.

Das Gutachten der Experten — die lokalen italienischen Behörden waren gut beraten, auch eine Delegation österreichischer Fachleute zuzulassen

— spricht jedoch eine andere Sprache. Es war also Mord — jener Mord, den die österreichischen Bischöfe in diesen Tagen jenseits der Nebelwand von Schlagworten beim Namen nannten. Auf jeden Fall: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“

Das Bedauern und die wortreicht Verurteilung, die bei jedem Terrorakt von offizieller österreichischer Seite ausgesprochen wird, sind ehrenwert. Das ist aber zu wenig. Auch der Hinweis auf die Unabhängigkeit von Geschworenengerichten

— siehe Linz —, verfängt nicht. Die Geschworenen von Linz urteilten nicht im luftleeren Raum. Sie fällten ihren Spruch in einem bestimmten innenpolitischen Klima. Dieses aber gilt es zu ändern. Man sage nicht, daß dazu die Möglichkeit fehlt. Politik muß führen und erziehen, nicht nur „reflektieren“. Aber solange man gegenüber einem neuen deutschen radikalen Nationalismus, der deutschen Demokraten ehrliche Sorge macht, und seinen österreichischen Sendboten den Kopf in den Sand steckt, statt sich ihm zu stellen, weicht man dem Kern des Problems aus wie die berühmte Katze dem heißen Brei.

Eine andere Frage ist, ob wirklich von österreichischer Seite schon alle Möglichkeiten der Grenzsicherung ausgeschöpft sind. Gewiß: Wir wollen''keinen „eisernen Vorhang“ am Brenner, aber wir wollen eine Exekutive, die nicht nur darauf geübt wird, Strafmandate an Autofahrer aufzustellen, sondern die auch fähig ist, echte staatspolitische Sicher-heitsauf gaben zu erfüllen und die fhan nicht davor aus irgendwelchen {innenpolitischen oder parteipolitischen Rücksichten zurückhält. Dem Vernehmen nach gab es schon vor Jahren konkrete Pläne in der Herrengasse zu einer entschlossenen Bekämpfung des Terrorismus. Sie wurden aber als zu „radikal“, als „unpopulär“ und „innenpolitisch nicht durchzustehen“ ad acta gelegt und — o du mein Österreich — der mit ihrer Ausarbeitung betraute hohe Gendarmerieoffizier prompt persönlicher Machtgelüste bezichtigt.

Außerordentliche Umstände verlangen außerordentliche Methoden. Würden sie angewandt, weiß Gott, die Position Wiens wäre gegenüber Rom moralisch die stärkere. Und genau das ist es, was wir wollen.

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