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Onkel Hugo im Regenwald

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Es war unumganglich: Der Mensch als Samm-ler und Jager muBte friiher oder spater die Photographie erfinden. Und da er sie erfunden hatte, konnte er seine Motive nach Be-lieben jagen und sammeln. Da aber Gesammeltes nur Freude bereitet, wenn man es mehr oder weniger In-teressierten vorzeigt, hat der Mensch auch das Photoalbum und den Dia-projektor erfunden. Seither stehen diverse Besuche, kaum sind Jause oder Nachtmahl vorbei, unter dem Zei-chen des Urlaubsphotobetrachtens.

Der Gastgeber hat namlich das Ge-fiihl, seinen lieben Gasten die Schnappschiisse der letzten zehn Jah-re nicht langer vorenthalten zu diir-fen, und alles versammelt sich im Halbkreis entweder um die umstand-lich aufgebaute Leinwand oder es werden Folianten herangeschleppt, die die im Bild festgehaltenen Erleb-nisse der vergangenen Sommer heka-tombenweise enthalten und jetzt unter den enthusiastischen Kommenta-ren der Knipser ans Tageslicht gezerrt werden.

Da ist in StecknadelkopfgroBe das Gesicht Onkel Hugos zu bewundern, der im tropischen Regenwald unterm Blatterdickicht steht und offenbar aus einer Entfernung von zweihundert Metern aufgenommen wurde. So-dann folgt das Meisterportat von Tan-te Juliane, mit grauem, frisch dauer-gewelltem Haar vor den graulich schaumenden Gischtmassen der Vic-' toria-Falle und offenbar mit Graufil-ter aufgenommen, schwer erkennbar, aber als Dokument auBerst aufbe-wahrenswert und wertvoll. Dann kommt, Heiterkeit bei der erlautern-den Hausfrau erzeugend, das umwer-fende Bildnis des kleinen Nackedeis Udo, nicht doch, man habe es verkehrt in der Hand, nun ja, der Knabe sei ins Bild gelaufen und habe, man hat Ver-standnis, der Photographin die Ka-mera aus der schlagen wollen, und das das, nein, das sein kein Finger, da habe man wohl beim Herausnehmen des Films nicht richtig aufgepaBt.

Tante Ella steht auf dem nachsten Bild vor dem Reiterdenkmal fiir Garibaldi, ja, vermutlich in Florenz, das rechte Bein des Pferdes stiitzt sich ma-jestatisch auf dem Haupt des lacheln-den Modells, es folgt die Nachbarin Rosa neben einer thailandischen Tempeltanzerin, was Frau Rosa nicht hatte tun sollen, da ihre Nachbarin rein von der Komposition des Bildes einigermaBen besser aussteigt, Neffe Bobert, dem im Hintergrund eine Pappel aus der linken Schulter wachst, steht mit abgeschnittenen Beinen da, und da weifi man endlich, weshalb der Sucher bei den Photoap-paraten eben im Gegensatz zu den Findern der modernen Computern Sucher heiBt, hingegen ist auf der Gruppenaufnahme von der Blitzfahrt zur Arena in Verona - die Gastgebe-rin sagt Arona in Verena - alles drauf, nur ein wenig unscharf, weil der un-freundliche Polizist auf der Piazza sie angerempelt hatte, gerade als sie auf den Ausloser gedriickt hatte, und das da, hier, da oben, auf dem nachsten Photo, ja hier, das sei ihr erster Affe in Zimbabwe gewesen, die seien aber al-

le so schnell, ganz im Gegensatz zu den Krokodilen, die aber waren stan-dig unter Wasser, hier bitte, rechts un -ten auf dem nachsten Bild, das sei ein Nasenloch, oder ein Auge, schon mbg-lich, mehr sei da nicht zu machen gewesen. Bei den Barong-Tanzen auf Bali habe man auch geknipst, aber das sei nichts geworden, viel zu finster, nur das eine hier, nun ja, rechts der in Trance geratene Gamelan-Musiker, links Cousine Emma im Publikum, die mit dem Dekollete, aber laut Au-genschein bestimmt nicht die Ursa-che fiir die Euphorie des Eingebore-nen.

Egon, hort man wie aus der Feme die Hausfrau sagen, willst du unseren lieben Gasten nicht auch die Aufnah-men vom letzten Hausball zeigen? Das aber, spatestens das, muB das Signal fiir den letztmoglichen Fluchtver-such des Gastes sein. Entsetzt und Be-dauern erhebt er sich mit der noch nie gebrauchten Feststellung, wie schnell doch die Zeit vergeht.

Aber Vorsicht. Die Hausballbilder und jene vom letzten Urlaub konnen warten.

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