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Orgelwettbewerb und Frans Hals

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Der Haarlemer Orgelmonat Ist eine internationale Veranstaltung von hohem Rang. Sie strahlt von Haarlem aus, der. Stadt mit einer besonders klangschönen, spätbarocken Domorgel des Amsterdamer Orgelbauers Christian Müller, auch nach Beverwijk, das ebenfalls über eine Müller-Orgel verfügt. Der geistige Kopf ist Dr. J. F. Obermayr, gebürtiger Österreicher, jetzt hier ansässig. Er vereint in sich oberdeutsches und niederdeutsches Wesen', .vstbijdet EiöfaHsreichtnm und Optimismus der, nötig Beharrlichkeit. Improvisationswettstreit und Sommer-akafimie für Organisten sind im wesentlichen sein Werk. Haarlem hat in Fachkreisen Berühmtheit erlangt. Es gibt derartiges nicht zum zweitenmal.

Der Besucher betritt den gotischen Dom zu Haarlem, die St.-Bavo-Kirche, an der noch die Basilika erkennbar ist. Ihm wird ein Notenblatt mit dem Thema in die Hand gedrückt, das als Aufgabe für den Wettbewerb gestellt ist. Rund 15 Minuten soll darüber improvisiert werden. Gemessen an den letzten Jahren, wird von den jungen Teilnehmern diesmal besonders viel verlangt: Sie sind an die Satzfolge der französischen Orgelsuite gebunden — während sonst eine Phantasie und Fuge, Passa-caglia und Fuge oder gar nur eine freie Improvisation vorgegeben waren. Prompt vergißt denn auch der englische Bewerber einen Teil, das Trio vor der Fuge, was natürlich für die Beurteilung sehr wesentlich ist. Aber wer — wie ein 25jähriger, hochbegabter Franzose — es darauf angelegt hatte, allein mit dieser Fuge, ausgeweitet zu einem riesigen Passacaglia-ähnlichen Gebilde mit effektvollem, aber nicht der Vorlage entsprechenden Fugenturm, das Ohr der Jury zu bestechen (und über die anderen Sätze kurz hinwegging), war im Irrtum. Diese Jury — ein Prager Orgelprofessor, ein Belgier, ein Holländer — wertet mehr nach musikalischschöpferischen als nach rein technischen Gesichtspunkten; gilt es doch, mit diesem Wettbewerb den Nachteilen der Perfektion gerade entgegenzutreten. — Der vorjährige Gewinner, ein Holländer, rückte an die zweite Stelle, der erste Preis würde dem deutschen Teilnehmer zugesprochen, Konrad Philipp Schuba aus Konstanz. Auch er muß ihn im nächsten Jahr verteidigen.

Wenige Straßen weiter wartet das Ereignis von Haarlem auf den Fremden — • eines der großen Kunstereignisse dieses Sommers überhaupt: die Frans-Hals-Ausstellung aus dem äußeren Anlaß der Hundertjahrfeier, die das nach dem Maler benannte Museum begeht. Da wandert man sie denn also ab, die Reihe der großen Damen und Herren, Familiengruppen und speisenden Offiziere, die, so würdig, wie sie hier dargestellt sind, doch kaum gewesen sein können. Und man fragt sich: War der gebürtige Antwerpener, aber in Haarlem ganz Beheimatete und in der St. Bavo zur letzten Ruhe Gebettete einer, der malte, was ihm angetragen und bezahlt wurde, und der nur „zufällig“, eben durch sein Genie, überdauernde Kunst schuf? War er wirklich so glücklich, so unschuldig, so lachend?

Ein Selbstporträt des Fünfundsechzig-jährigen, das ausgerechnet nach Indianapolis gelangt ist, spricht dagegen: mißmutig, fast vergrämt, blickt uns der Maler an. Und dann spricht die Melancholie eines „Kavaliers“ dagegen, der beinahe zornige Ernst eines unbekannten Mannes, dessen Frau — als Pendant verewigt — gewiß nichts zu lachen hat, die Resignation der Regenten des Haarlemer Altmännerhauses, die fahle Tristesse eines „Sitzendten - Man-' nes“.: rHalV BiirgergFuppen hatfrfe - “*einen patriarchalischen,, fast biblischen1 Wu&l'&it Hefren stehen da mit Herrschergeste, auch wohl mit einem Totenkopf in der Hand, weil der Tod ihnen eben gar nichts anhaben kann (wie sie wohl meinen), dann wieder geben sie sich wein- und bierselig; auf jeden Fall sind sie Herrscher über sich selbst und andere, auch über die Natur, die nur als Bild im Bilde erscheint. Die „Schützenbilder“ wiederum sind geometrisch exakt kalkuliert, Kompositionen von Linie und Farbe. Es ist dies alles im Grunde Hofmalerei wie bei Velasquez, der ja zur gleichen Zeit lebte, auf der anderen, katholischen Seite. Der Mensch ist absolut gesetzt, und damit ist Menschlichkeit in höherem Sinn gleichsam geronnen, manchmal zur Weisheit und Güte, oft aber auch zu asketischer Strenge. Ursprünglichkeit wirkt bei Hals nur als Idee: im Gesicht des „Lachenden Jungen“ — oder in der Narrheit, in der jedoch immer auch ein Widerschein von Tragik eingefangen ist.

Unter der Vorbedingung solcher Starre, solcher Askese, der Zurücknahme alles „Natürlichen“, schuf Franz Hals sein großes malerisches Werk, mit vielen kunstvollen Effekten, vorwegnehmend wie jedes Genie: Elemente des Impressionismus, vor allem aber des Frühexpressionismus — Züge also, die sich, Jahrhunderte später, in programmatischer Form als gegensätzlich ausbildeten. Letzten Endes verwirklichte er puren malerischen Ausdruck, erweckte er eine unreale Welt der Kunst. Die Erfahrung, daß solches unter jeder Bedingung zu jeder Zeit möglich war — und ist —. verdanken wir den Leihgebern aus aller Welt, die diese Ausstellung ermöglicht haben.

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