6575404-1950_41_06.jpg
Digital In Arbeit

Premieren im Zwielicht

Werbung
Werbung
Werbung

Die Josefstadt bringt das Erstlingswerk einer jungen Engländerin, Charlotte H a-stings „Schwester Bonaventura“. Für England: ein mißverstandener Chesterton und Greene. Für Österreich: ein Mißverstehen des Interesses an religiösen Themen. — Ein Kriminalreißer, der zur Abwechslung in einem Kloster spielt. Wie macht man das? Sehr einfach: Man läßt eine Klosterschwester Detektiv spielen zum Nachweis der Unschuld einer zum Tode verurteilten Mörderin, die durch unwahrscheinliche Zufälle im Kloster vor ihrer Hinrichtung Station macht. Nichts gegen Kleriker als Detektive! Bernanos hat seine prachtvollen Priester als echte Seelendetektive gezeigt, ein Chesterton konnte es wagen, in seiner köstlichen humor- und glaubensstarken Art, einen kleinen, komischen Kaplan, Father Brown, zum Helden seiner Geschichten zu wählen. Der Kitsch des Fräulein Hastings hat aber nichts mit diesen großen „Vorbildern,“ zu tun. Das Klosterleben ihrer Story ist blasse Schablone, falsche Stimmungskulisse. Die weder religiös noch gemeinmenschlicb ververtiefte Mordgeschichte klingt aus mit dem — Magnifikat. Wieder erfährt der Österreich, wie mondfern unsere kultiviertesten Bühnenleute der einfachen Realität, der Dimension des Glaubens gegenüberstehen. Interessant ist immerhin der Aberglaube dieser „modernen“ Welt: mit „religiös“ überblendetem Kitsch ein Geschäft zu machen.

In der Scala: „Die Zeit wird kommen“ von Romain Rolland. Der große Vorkämpfer einer deutsch-französischen Verständigung, des Friedens- und Freiheitsgedankens in Europa, hat seinerzeit mit Recht im Burenkrieg das Fanal des Jahrhunderts gesehen und sich in diesem Stück das Thema gestellt: alle diese Kriege sind Bruderkriege, in ihnen siegt nicht die „Kultur“, die „Zivilisation“, der „Fortschritt“, geschweige denn das Recht und die Freiheit, sondern die Gewalttat des physisch Stärkeren. Dahinter stehen große, furchtbare Mächte, hier der englische Kapitalismus und Imperialismus. — An der Tragödie des englischen Oberkommandierenden handelt Romain Rolland schulbuchartig seine richtigen Thesen ab — es ist eine düstere Moritat, flache Bilder einer Camera obscura, Töne aus einem Leierkasten. Nachdenklich stellt man fest: der Friedensgedanke dieser führenden „westlichen“ Intellektuellen des letzten halben Jahrhunderts ist innerlich ungemein schwach fundiert. Kein Zufall, daß er nicht mehr zog., er hat nichts Ergreifendes, den ganzen Menschen Einforderndes, Tiefenweckendes an sich. Erschütternd seine Naivität, sein unleugbar guter Wille, dieser mutet aber an wie die Demosthenes-Begeisterung von Gymnasiasten. Nachdem Rolland hier gezeigt hat, wie aller guter Wille auf beiden Seiten, bei Engländern und Buren, zuschanden wird, weil die Kriegs- und Rachemaschinerie losgelassen ist, schließt er mit der Friedensvision des Psalmes: „... die Zeit wird kommen, in der das Lamm mit dem Löwen weiden wird...“

Innerweltliche Apokalypse also, Anbruch des großen Friedensreidies, nichts aber in den Menschen dieses Stücks rechtfertigt diesen, alle Grenzen, Schatten und Gegensätze überwindenden Friedensglauben.

Eine österreichische Urauff ü h-rung im Volkstheater: „Der Pfeifer von Wien“ von Ulrich Becher und Peter P r e s e s. Ein Volksstück um den lieben Augustin. Um es vorwegzunehmen: wie bei ihrem „Bockerer“, dem ersten und nahezu einzigen Versuch eines in der Gegenwart spielenden neuen österreichischen Volksstücks, bekunden die Verfasser auch hier lobenswerte Absichten. Sie wollen also den „lieben Augustin“ nicht einfach als eine senti-mentalische Heurigenfigur zeigen, sondern als einen armen, vom Leben geschundenen Kerl, mit einem großen, gütigen, ja heißen Herzen. Sie wollen realistisch die Wiener der Pest-und Türkenzeit von 1679 bis 1683 nicht als heroisches Vorbild für die Wiener von heute darstellen („Wiener, haltet aus“), sondern behaftet mit all den bekannten Schwächen unseres Volkes (mit manchen Zügen aus dem „Jungen Medardus“). Keine Parhetik, keine Überhöhung ins Heldische — bleiben doch Menschen, saftig, echt und stark in ihrer Art.

Lobsam dies Bemühen. Dennoch fehlt zum starken Stüde vieles, vor allem die Unterlage. Es tut nichts, daß alle Szenen im Wirtshaus spielen — Grimmelshausen, Rabelais, Brecht und viele andre haben gezeigt, was man aus einem Wirtshaus machen kann, hier aber geschieht, i n den Menschen, doch zu wenig. Da man mannhaft dem „lieben Augustin“ das Untertauchen im Sentimentalischen verwehrte, bleiben nun aber nur einige papierene Redensarten; seine Lebensphüosophie, die des Stücks, ist ein letzter schwacher Aufguß der Maximen des Steinklopferhans. Stehen noch Angst, Geiz und Gier, Lebenslust, Klugheit und Narrheit auf der Bühne, als Staffagen in Nebenfiguren, haben alle den „lieben Augustin“ gern. Auf der Zunge bleibt Limonadengeschmack.

Die Insel erholt sich von ihrem letzten prächtigen Erfolg nun bei der Komödie „Ich liebe dich“ von Roman Niewiaro-wiez. Das Ehepaar Ott-Waldbrunn spielt eine Schlafpulvergeschichte um ein Wiener Mädchen und seinen amerikanischen Entführer. Für ein Kabarett ist dieser gedehnte Sketch zu lange, für eine Komödie ist diese Fünfminutengeschichte zu kurzatmig. Bewundernswert der Fleiß und das Geschick, mit dem ein Mann in diesem Zweipersonenstüdc zwei Stunden lang seine Frau und sein Publikum unterhält.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung