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Rascher durch Matzleinsdorf!

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Wir haben es eilig. Einige Umwege hat man ja in letzter Zeit begradigt und damit eigenwillige Kulturlandschaften zu verkehrstechnisch einwandfreien Durchzugsgebieten gemacht. Aber die Wiedner Hauptstraße ist noch nicht gleich der Luftlinie. Was soll aber eine Straße anderes sein als eine möglichst kurze Verbindungslinie zwischen zwei Orten? Wir haben es satt, mit unseren neuen Autos ewig um altes Gemäuer, mit unseren eigentlichen Kirchen ewig ums Kieuz, um das Kreuz des Kulturerbes, zu fahren!

Diesmal geht es um die Pfarrkirche St. Florian in der alten Wiener Vorstadt Mafzleinsdorf, erbaut 1725. Sie steht mitten auf der Straße, reizvollerweise, wie die behaupten, die man als Kunstsinnige bezeichnet. In ihr drängt sich ein anderes Zeitalter sichtbar unserem neuen auf. Sie ist nicht zu übersehen und nicht zu übergehen. Sie zwingt uns, offen zu zeigen, was uns mehr bedeutet: Geschwindigkeit (mit der sich die Verkehrssicherheit proportional vergrößert) und ein modernes Stadtbild — oder barocke Eigenwilligkeit, eine Schönheit, die wir ja doch nicht genießen können, da wir es ja eilig haben.

Sogar die arme Straßenbahn muß links und rechts an dieser Kirche vorbei. (Und sie müßte es, würden wir Geschwinden nicht siegen, noch ein oder zwei Jahrzehnte tun, bis sie selbst eingeschmolzen wird, die Wiener Straßenbahn') Nein, motorisierte Mitbürger, diesmal schimpfen wir nicht auf die Straßenbahn, sie ist sogar ein sehr nützlicher Bundesgenosse. Wir wollen keine barocke Kirche an dieser Stelle. Wir wollen zwei glatte Straßenbahnschienenstränge, wie sie überall auf der Welt noch gestern modern waren, und sei es auch nur für 20 Jahre! Gera&e Schienen machen, daß wir rascher durchs Leben kommen. Gerade Schienen gibt es überall. Wir wollen sie endlich auch in Matzleinsdorf haben!

Es wäre schade um dieses Baudenkmal'?, Um seine liebenswürdige Schönheit, die allein diesem grauen Stadtteil künstlerischen Wert verleiht? Aber wir haben doch in Oesterreich genug Barockkirchen! Dem Edlen ziemt der Reichtum, nicht der Ueberfluß!

Wir haben kein Herz? O doch! Seht die alten Leute, die den durch uns verursachten Gefahren ausgesetzt waren, wenn sie zur Kirche wollten. Ganz in der Nähe wird eine moderne, viel größere Kirche gebaut. Dann brauchen die Leutchen nicht mehr die halbe Straße kreuzen. (Höchstens die ganze und noch eine andere dazu!)

Und die Schönheitshungrigen? Na, die sind doch wirklich eine zu vernachlässigende und ewig Schwierigkeiten machende Minderheit. Und übrigens ist St. Florian viel zu klein für diesen Stadtteil.

Man sollte die alte stehen lassen, mit gutem Willen den Verkehr regeln und außerdem eine neue Kirche in entsprechender Größe aufstellen? Aber Kinder, seid ihr denn von Sinnen? Da würde ja dem ganzen Handel die Grundlage genommen. Die Kirche würde den Baugrund (wenn sie ihn unter diesen Umständen überhaupt bekäme) teuer bezahlen müssen. Und wir haben ihr, die doch gezwungen ist, den betenden Gläubigen ein Dach über den Kopf zu geben, den Antrag gemacht, sich von dem alten Gemäuer sogar mit Gewinn zu trennen...

Ihr seht, kunstliebende Mitbürger, argumentieren hat keinen Zweck. Die Kirche in Matzleinsdorf wird abgerissen, weil wir es so wollen und weil wir die Macht haben, unseren Willen durchzusetzen. Das ist doch heute Argument genug?!

Im übrigen: es entspricht nicht den Tatsachen, daß alle Barockkirchen mit zu kleinem Fassungsraum schon in nächster Zeit demoliert werden sollen!

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