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Freie Bahn der Spitzhacke

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Im übrigen: Es entspricht nicht den Tatsachen, daß alle Barockkirchen mit zu kleinem Fassungsraum schon in nächster Zeit demoliert werden sollen. (Aus „Rascher durch Matzleinsdorf!“ in der „Furche“ vom 16. Juli 1955.) *

Die alte Matzleinsdorfer Pfarrkirche, die inmitten der Wiedner Hauptstraße steht — ein Wahrzeichen des fünften Bezirkes —, wurde heuer 238 Jahre telt. Es ist nicht sicher, ob sie ihr 250jähriges Jubiläum erleben wird. Denn sie soll abgerissen werden. Pläne sehen hier die Südeinfahrt der Autobahn

vor. Da glaubt man, daß die dem hl. Florian, dem Schutzpatron der Rauchfangkehrer, geweihte Kirche den Autofahrern fcn Wege sein wird. Dabei übersieht man, daß die Wiedner Hauptstraße gerade an dieser Stelle sich bauchartig erweitert und so dem Verkehr genügend Platz gibt. Einige hundert Meter weiter zum Ring läuft die Straße trichterförmig zu; dort beginnen die hemmenden Kreuzungen und Verkehrsfallen.

Schon einmal sollte die Kirche des heiligen Florian abgerissen werden. Das war 1787, als sie 68 Jahre alt war. Damals gab Joseph II. den Befehl dazu. Doch gelang es den Matz-leinsdorfern, dies zu verhindern. Hoffen wir, daß es ein Präzedenzfall war und auch diesmal die Kirche den geplanten Anschlag überleben wird. Nicht nur, daß sie ein In seiner Schlichtheit würdiger Barockbau ist, an dem vor allem die Gewölbe über dem Presbyte-rium kostbar sind, auch vom städtebaulichen Standpunkt ist sie nicht wegzudenken. Die Wiedner Hauptstraße ergäbe ohne sie einen trostlosen, ganz verödeten Anblick.

Die Erzdiözese Wien wandte sich im August 1955 an die Gemeinde Wien mit dem Ersuchen, ihr den letzten in der Nähe der alten Kirche befindlichen Bauplatz, Ecke Wiedner Hauptstraße-Laurenzgasse, für einen

Neubau zu überlassen. Im November 1955 erklärte sich die Gemeinde dazu bereit. Der Platz ist zwar groß genug, aber nicht gerade ideal für einen Kirchenbau geeignet. Die Schwierigkeiten, die sich hier dem Architekten entgegenstellen, werden neben der Bedeutung, die diesem Kirchenbau zukommt, der Anlaß zu einem äußerst glücklichen Gedanken des erzbischöflichen Bauamtes gewesen sein: den Kirchenbau nicht einfach an irgendeinen heimischen Architekten zu vergeben, sondern einen Wettbewerb mit internationaler Beteiligung durchzuführen. Hoffen wir, daß die Einsicht siegt

und die alte Matzleinsdorfer Kirche erhalten bleibt. Das hegt nicht nur den Matzleinsdorfern, sondern jedem Wiener am Herzen.

Dr. Wieland Schmied

Auch die Allee kommt dran!

In Würdigung der im Museum für angewandte Kunst gezeigten Entwürfe für die neue Matzleinsdorfer Kirche wurde rühmend hervorgehoben, daß der Entwurf der — österreichischen — Architektengruppe 4 nachdrücklich für die Erhaltung der alten Kirche eintritt. Mit vollem Recht.

Drei Fragen müssen gestellt werden:

1. Ist die alte Kirche so wertvoll, daß der Denkmalschutz nicht auf sie verzichten kann?

2. Ist sie ein „Verkehrshindernis“?

3. Ist sie städtebaulich notwendig? Zu 1. Es wurde gesagt, es gebe so

viele barocke Kirchen in Österreich, daß die Matzleinsdorfer Kirche nicht unbedingt erhalten werden müsse. Nun, auch wer dieses Werturteil billigt, wird doch erkennen müssen, daß der alte Kunstbesdtz von Tag zu Tag zusammenschmilzt und daher micht ohne zwingende Not geschmälert werden darf.

Zu 2. Die alte Kirche ist freilich mehr als ein willkommener Ver-

Masse. Aber die Häuser an der rechten Seite der mandelförmigen Ausbuchtung der Straße um die Kirche werden in nicht allzu ferner Zeit fallen müssen, zumeist durchaus nicht zum Nachteil des Straßenbildes. Die stattlichen Biedermeier-häiuser Nr. 94 und Nr. 96 stehen unter der Straßenhöhe, noch mehr die unansehnlichen Häuser Nr. 100 und Nr. 102, und erheblich vor der Baulinie, die neueren Häuser Nr. 104

bis Nr. 108 sind wertlos, das Haus Nr. 108 besonders unschön, die anschließenden Hauser Nr. 110 bis Nr. 114 Idegen wieder unter der Straßensohle, ihre Tage sind also ebenfalls gezählt. Es wäre sehr wohl möglich, ihren Umbau zur Ausweitung der Straße auch zur Rechten der Kirche zu nützen, wie dies vor wenigen Jahren zu deren Linken geschehen ist. Auch müßten nicht just dort Kraftwagen parken. Wird aber die Straße zur Rechten der Kirche ausgeweitet, dann wird die Kirche zwischen zwei flüssigen Einbahnen liegen, der Verkehr wird also nicht im geringsten leiden müssen.

Zu 3. Unter keinen Umständen

•ber wird auf die alte Kirche aus städtebaulichen Gründen verzichtet werden können. Fällt sie, so wird sich uns auf der aufsteigenden (!), sich überdies verbreiternden Straße eine trostlose Asphaltwüste darbieten. Zwei andere Entwürfe, die in der genannten Ausstellung au sehen waren, möchten dem abhelfen: Der eine möchte den barocken Turm, und nur ihn stehen lassen, der andere einen mächtigen schlanken Turm in Grätschstellung, wenn wir so sagen dürfen, errichten. Jenes ist unmöglich, weil der alte Turm des Widerlagers des Kirchenschiffes bedarf, dies ist kümmerlich, modernistisch und kann nicht befriedigen. Nein, lassen wir die alte Kirche

stehen, zumal sie erst vor wenigen Jahren nach schweren Kriegsschäden wiederhergestellt worden ist. Wie der in der Ausstellung aufgelegene Brief Seiner Exzellenz des Herrn Erzbischofs Dr. Franz Jachym an die Stadtverwaltung vom 26. Mai 1955 erweist, ist man bereit, „in Zukunft zwei Kirchen betreuen zu müssen“.

Die Tage sind nicht fern, da um die Allee auf der Wiedner Hauptstraße gekämpft werden wird. Unterliegen ihre Verteidiger, dann wird die Straße sehr öde sein. Um so notwendiger ist das abschließende Bild der Kirche. Bestünde sie nicht, man müßte sie bauen!

Dr. Viktor Schneider

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