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Regie ist Trumpf

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Der Marquis de Sade veranstaltete im Irrenhaus von Charenton, in dem er als moralisch Geächteter 13 Jahre vor seinem Tod interniert war, Theateiraufführungen wie er dies aiuch schon früher auf seinem Schloß La Coste getan hatte. Es war nun ein trefflicher Einfall von Peter Weiss, diesen ebenso berühmten wie berüchtigten Verfasser zahlreicher Romane und Bühnenwerke in einem Stück mehr als ein Jahrzehnt nach der Französischen Revolution vorzuführen, wobei die Ermordung Marats nach einem fiktiven Manuskript des Marquis dargeboten wird.

Das so entstandene Drama „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade”, das die meisten führenden Bühnen längst gespielt haben, wird jetzt erst, beschämend spät, in Wien, und zwar im Akademietheater, aufgeführt Es ist dies ein Diskussionsstück, dessen Aufbau und Diktion sich als völlig von Brecht abhängig erweist, wobei politische Stellungnahmen zur Problematik der Französischen Revolution gegeneinandergesetzt sind.

Marat ist der fanatisch doktrinäre Revolutionär, dem die Guillotine nicht rasch genug arbeiten kann. De Sade deutet jene Philosophie an, die er in seinen Romanen verkündet, er wendet sich nun von der Revolution ab, der er kurze Zeit diente, da säe zum „Versiechen des einzelnen” führe. Der Anstaltsdirektor und der Ausrufer verweisen darauf, daß sich seit der Revolution alles gebessert habe, was nur gering ironisiert wirkt. Mag es auch heißen, Marat sei seiner Zeit „um ein Jahrhundert voraus”, so ergibt sich im Gesamteindruck doch ein Abrücken von den extremen revolutionären Idealen. Erst später, in dem Stück „Gesang vom lusitanischen Popanz”, hat sich Peter Weiss zu den kommunistischen Parolen der zwanziger Jahre rückentwickelt.

Jede dramatische Spannung fehlt, da keine inneren Vorgänge gezeigt werden, auch nicht die seelischen Voraussetzungen, die bei der Corday zum Dolchstoß führen, da es — entgegen der Behauptung von Peter Weiss — keinen Konflikt gibt, da sich die krasse Unfähigkeit des Autors, Charaktere zu zeichnen, bekundet. Die überaus bewegte Szene allein vermag in der Aufführung zu fesseln: Es gibt Pantomimen, um politische Situationen knapp zu illustrieren. es gibt Sänger, einen Chor, die Patienten sind immer wieder in Aufruhr.

Das heißt, das ist ein Stück für Regisseure. Hellmuth Matiasek beherrscht im Verein mit dem Choreographen Gerhard Senft überlegen die Bewegungsvorgänge der Szene, die durch die scharfen Rhythmen der Musik von Hans-Martin Majewski noch aufgepeitscht werden. Walther Reyer stellt den Marat, feierlich ernst, als politischen Schwärmer dar; eine völlig irrige Auffassung. Dagegen bietet Leon Askin als de Sade ėine seelisch vielfarbige, überzeugende Leistung. Sonja Sutter vermag als Charlotte Corday zu ergreifen.

Heinrich Heine erklärte, das Wesen der Shakespeareschen Komödie bestehe in der Schmetterlingslaune, mit der sie von Blume zu Blume dahinsegle und nur selten den Boden der Wirklichkeit berühre. Das gilt im besonderen für das Lustspiel „Was ihr wollt”, das derzeit im Theater in der Josefstadt im Gegenwartskostüm aufgeführt wird.

Die „Schmetterlingslaune”, mit der hier Amor seine Pfeile verschießt, so daß sich von unglücklich Liebenden zu unglücklich Liebenden ein Kreis, ein Ringelspiel der Liebe bildet, steht nun freilich in Widerspruch zu den Minihosenröcken, zu den Schockfarben und Schockmustern in der Kleidung der Viola, des Orsino, des Bleichenwang, womit man sie jener heutigen Jugend zuordnet, die statt Liebe nur Sex kennt. In Badetrikots auftreten, dabei Zigaretten rauchen und sich mit „Euch” und „Ihr” anreden, die „Glut” der eigenen Liebe beteuern und, wie es Orsino tut, nicht selbst, sondern mehrfach durch Viola um Olivia werben lassen, da klaffen Stück und Aufführung auseinander. Der poetische Reiz geht verloren.

Damit legt Dietrich Haugk als Regisseur diesen szenischen Versuch ganz vom Schmetterlinghaften weg auf Effekt fest, überdies interpoliert er in seine Neufassung des Stücks nach der Übersetzung von Theodor von Zeyneck viel Klamauk. Viola und Sebastian läßt er von der gleichen Schauspielerin dairstellen, sie sind tatsächlich zum verwechseln, doch können sie sich am Schluß nicht treffen. Die unscheinbare Gertraud Jesserer bleibt in dieser Doppelrolle unzureichend. Dagegen bieten Marion Degler als Olivia und Leopold Rudolf als „Butler” Malvolio eindrucksvolle Leistungen. Elfriede Ott konfektioniert als Kammermädchen Maria ihre Vorzüge. Vereinzelte Bänke, Liegestellen, Versatzstücke ordnet der Bühnenbildner Roman Weyl vor einem hellblauen Hintergrundprospekt an. Es ergibt sich die Impression sonnigen Südens.

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