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Religion: Außriiche und Umbrüche
Hat „Mauerfraß” bereits die oberen Stockwerke des Gebäudes Kirche erreicht? Stehen wir an der Schwelle zu einer nachchristlichen Epoche?
Hat „Mauerfraß” bereits die oberen Stockwerke des Gebäudes Kirche erreicht? Stehen wir an der Schwelle zu einer nachchristlichen Epoche?
Die Zukunft des Christentums kann von zwei verschiedenen, doch nicht zu trennenden Gesichtspunkten her gesehen werden: Im Blick auf die absolute Zukunft und im Blick auf die innerweltliche Zukunft. Das Reich Christi ist nicht von dieser Welt, auch wenn es in dieser Welt beginnt und wächst. Die Zukunft des Christentums ist Der, der von sich sagt: „Ich bin das A und das 0, der Erste und der Letzte.” Das Ziel der Geschichte ist die „zukünftige Stadt”, das „himmlische Jerusalem”, „die neue Erde und der neue Himmel”, in denen der Tod nicht mehr sein wird, in der Gott alle Tränen abwischt.
Sich nach dieser Zukunft auszustrecken ist keine Vertröstung auf ein „besseres Jenseits”, sondern die Haltung, die erst recht zum Einsatz für Gegenwart und Zukunft in der Geschichte motiviert. Wer nicht alles jetzt haben muß, weil dieses Leben Pilgerweg zur „ewigen Heimat” ist, wird vielleicht stärker motiviert sein, zu teilen und zu verzichten, zu Gunsten der Armen, der Umwelt, der kommenden Generationen. Wer sich selber als Pilger für die kürze Zeit seiner Lebensspanne auf Erden sieht, über die er Rechenschaft geben muß, wird eher bereit sein, zum Wohl der nächsten Generationen Einschränkungen anzunehmen, als derjenige, dessen Lebensdevise „Pa-radise now” lautet.
Das Christentum sieht .alle Menschen von dem gemeinsamen Ursprung her, durch den jeder, Mann und Frau, Abbild Gottes sind, und auf das gleiche Ziel hin, die Gemeinschaft des „Himmels”. Dieser Weg ist auch gekennzeichnet vom Drama des Bösen, des Bruches zwischen den Menschen und Gott, der Menschen untereinander. Versöhnung, Heilung der Wunden, letztlich Überwindung des Todes sind die großen Themen der christlichen Botschaft, die in der Person Jesu Christi ihre Mitte hat.
„Zukunft des Christentums”, dieses Wort bezeichnet aber auch eine Frage, eine Sorge. Hat das Christentum Zukunft? Stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, das nachchristlich sein wird? Die Umbrüche in der Kirche, verbunden mit Spannungen, bis hin zu Zerreißproben, stammen auch aus dieser besorgten Frage. Kurt KoToGUl'ER Wimmer schreibt vor kurzem (Kleine Zeitung, 6. November) von einem „Mauerfraß”, der bereits die oberen Stockwerke des Kirchengebäudes erreicht hat. Mit Hans Küng meint er, die Katholische Kirche hat auf dem Zweiten Vatikanum die Fundamente nicht radikal genug saniert, sondern nur die vom Fraß befallenen Stellen mit neuer Farbe überstrichen. Radikaler als alle Forderungen des Kirchenvolks-Begeh-rens gehe es - so Wimmer - um man -che Glaubensinhalte, die „auch in zeitgemäßester Sprache nicht mehr vermittelbar” sind. Er sagt nicht, um
Redaktionelle Gestaltung: Heiner Boberski welche es sich handelt. Doch ist es dankenswert, daß er die Frage nach der Zukunft des Christentums so radikal, nämlich von der Wurzel her, stellt. Ist die Lösung der „Krise des Christentums” jenes allgemeine Weltethos, jener allumfassende und doch sehr vage Theismus, den Hans Küng vertritt und in dem die zentralen Inhalte des christlichen Glaubens mehr und mehr verblassen?
Vieles an der Gestalt der Kirche wird sich wandeln. Wir stehen an einer Epochenwende, vergleichbar dem vierten, dem elften, dem sechzehnten Jahrhundert. „Mauerfraß” kann heißen, daß vieles am Gebäude der Kirche zusammenbrechen wird. Dies ist nicht auszuschließen und letztlich auch nicht zu fürchten. Zu fürchten ist nur jenes Wort Jesu, das rätselhaft am Ende einer Rede steht. „Wird aber der Menschensohn, wenn er wiederkommt, Glauben auf Erden finden” (Lk 18,8). Dieser Glaube ist es, der die Kirche stets verjüngt hat, ein Glaube, der in der Liebe konkret wird und aus dem die großen, tragenden Gestaltungen der Kirche gewachsen sind, ob dies die Mönchsbewegung mit ihrer zutiefst gesell-schaftsprägenden Kraft war, ob es um die schöpferische Armutsbewegung des Franziskus geht oder ob es die tiefe, in die Menschenherzen ausstrahlende Kraft einer Kleinen Theresia ist: Diese Kirche ist nicht vom Mauerfraß bedroht, sie ist auf jenem Felsen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe gebaut, von dem Jesus sagt, daß die Pforten der Todesmacht sie nicht überwältigen können.
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