6701559-1963_32_11.jpg
Digital In Arbeit

Russische Prosa

19451960198020002020

RUSSISCHE ERZÄHLER AUS ZWEI JAHRHUNDERTEN. Herausgegeben und übertragen von Johannes v. Guenther. Union-Verlag, Berlin, 1962. 619 Seiten. — BEGINN EINES UNBEKANNTEN ZEITALTERS. Von Konstantin Paustowskij. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München, 1962. 248 Seiten. In der Reihe „Die Bücher der Neunzehn“. Preis 9.80 DM.

19451960198020002020

RUSSISCHE ERZÄHLER AUS ZWEI JAHRHUNDERTEN. Herausgegeben und übertragen von Johannes v. Guenther. Union-Verlag, Berlin, 1962. 619 Seiten. — BEGINN EINES UNBEKANNTEN ZEITALTERS. Von Konstantin Paustowskij. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München, 1962. 248 Seiten. In der Reihe „Die Bücher der Neunzehn“. Preis 9.80 DM.

Werbung
Werbung
Werbung

Wer sich für russische Literatur interessiert, wird sich an zahlreiche hervorragende Übertragungen Johannes von Guenthers erinnern, der seit den zwanziger Jahren eine Reihe vielgelesener Anthologien und Einzelwerke russischer Autoren herausgegeben hat, und von dem kürzlich in der Fischer-Bücherei wieder eine Sammlung russischer Kriminalgeschichten erschienen ist (Besprochen in Nr. 25/1963 der „Furche“). Guenther verdanken wir auch die jetzt im Ost-Berliner Union-Verlag erschienene Anthologie „Russische Erzähler aus zwei Jahrhunderten“, die einen interessanten Querschnitt durch die russische Prosa bietet, der mit Puschkins wunderschöner Geschichte „Der Schneesturm“ beginnt und mit Scholochows Erzählung „Das Fohlen“ endet — eine Episode aus dem Bürgerkrieg, in der ein eben geborenes Fohlen das harte Reglement einer Gruppe Rotarmisten ins Wanken bringt.

Die großen russischen Klassiker stehen im Mittelpunkt der Sammlung. Wir begegnen Bekanntem (Gogols „Mantel“, Dostojewski) „Weißen Nächten“) und Unbekanntem, das der Übersetzer hier erstmalig dem deutschsprachigen Leser zugänglich macht; darunter Nikolai Nekrassows in der Thematik an Gorkis „Nachtasyl“ erinnernde makabre Erzählung „Petersburger Winkel“.

Kaum vertreten in der Auswahl ist jene „verlorene Generation“ hochbegabter russischer Dichter, die, kurz vor und nach der Oktoberrevolution, sich begeistert zu der großen geistreichen und sozialen Neuordnung ' bekannten, ihr später aber enttäuscht den Rücken kehrten und schließlich an ihr zugrunde gingen — durch Selbstmord oder Liquidation.

Von den nachrevolutionären Schriftstellern berücksichtigt von Guenther nur Gorki Brjussow, der schon 1919 der kommunistischen Partei beitrat, den bei uns noch kaum bekannten, sehr lesenswerten Natur-und Tierdichter Prischwin, Alexej Tolstoi, Paustowskij und Scholochow. Also Autoren, die sich heute in Rußland unangetasteten Ruhms erfreuen, deren Werk freilich auch weit über dessen Grenzen hinaus geschätzt wird.

In den von Guenther ausgewählten Erzählungen Tolstois, Paustowskijs und Scholochows ist es gerade der sehr menschliche, ja brüderliche Unterton, der den Leser anrührt. Es scheint da eine kontinuierliche Linie von der vorrevolutionären russischen Literatur zur heutigen zu führen, soweit Schriftsteller von Rang zur Debatte stehen.

Das gilt, wie man mit Freude feststellt, fraglos für Konstantin Paustowskij, dessen Lebenserinnerungen die Nymphenburger Verlagshandlung in deutscher Übertragung herausbringt. Jetzt liegt, in der Reihe „Die Bücher der Neunzehn“, der dritte Band dieser autobiographischen Schriften vor, in denen Paustowskij die dunklen Jahre von 1917 bis 1920 heraufbeschwört. Oktoberrevolution und Bürgerkrieg — jene „Zeit voller Widersprüche und Erwartungen“ — wird hier lebendig und ohne Voreingenommenheit geschildert. Fern jeder abstrakten Theorie, unter deren Abstempelung wir die Geschehnisse so häufig sehen, sondern wie der russische Mensch, wo immer er stand, sie erlebte und erlitt: als Beginn einer neuen Welt. Die Härten, die Opfer und Leiden der Entwicklung werden nicht unterschlagen oder verkleinert. Aber Paustowskij macht kein Hehl daraus, daß sein Herz im Bürgerkrieg der Roten Armee gehörte.

Es sind die kleinen Episoden in dem Buch, die ans Herz greifen. Hier begegnet uns der russische Mensch mit seinen hellen und dunklen Seiten im Spiegel der Dichtung. Ob uns der Blickpunkt Paustowskijs gefällt oder nicht: er ist ernst zu nehmen und der Auseinandersetzung wert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung