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Schicksal und Dichtung

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INCOGNITO. Von Petru Dumltria. S.-Fischer-Verlag:, Frankfurt am Main, 1963. Iif 8 Seiten. Preis 26 DM. — DIE ZEIT DER GROSSEN ERWARTUNGEN. Von Konstantin P a u s t o w s k i j. Nymphenburger Verlagshandlung, MUnchen, 1963. 268 Setten.

Preis 15.80 DM.

Gezeichnet von Gott ist die Hauptfigur in Petru Dumitrius Roman, und zwar in der Art, in der ein Blinder in überstarkem Licht taumelt. Ein einziges Gottsuchen drückt sich in ihr aus, dem jedoch die letzte Einsicht fehlt, daß es bei Gott liegt, ob und wie wir ihn finden oder nicht. Immerhin: der geheime, geheimnisvolle, verborgene Gott, das äst eine echte Glaubenserfahrung, an der jeder einspurige Offenbarungsrationalismus kläglich zerschellt. Dazu bleibt Gott im Roman völlig unpersönlich: auch das ist eine bedrängende Glaubenserfahrung. Das Ausgleiten in ein pantheistisches Verständnis dieser Erfahrung, das sich, für den Darsteller unbemerkt, mit der gelebten und geschilderten Erfahrung restlos überwirft, mutet hierbei wie ein wilder Trieb aus gesunder Wurzel an. Im Leben stellt sich, unklar und unausweichlich, die Frage nach Gott. Ebenso unklar und unausweichlich wird die Antwort gelebt. Im Geheimnis, das Geheimnis bleibt, gibt es bei näherem Zusehen noch viel beunruhigendere Erklärungen als die von Dumitriu angebotenen, ungleich mehr wird abgefordert, und auch viel reicher gegeben. Die Unbeholfenheit, Klobig- keit des Buches, zugleich seine Eindringlichkeit, Fülle und Verwobenheit, sie machen es zum Zeugnis eines Anfangs in Einfalt, der nicht der schlechteste ist.

Konkret dreht es sich um die Geschichte eines Mannes, Sebastian, dessen verworrener Weg zu Hoffnung, Vertrauen, Liebe und einem dumpfen, ahnungsvollen Glauben sich vor dem Leser dehnt. In einer Rahmenerzählung berührt Dumitriu sein eigenes Schicksal, das mit dem Leben des Romanhelden eng verbunden erscheint. Der Roman spielt in Rumänien und führt, beginnend mit den vierziger Jahren, bis herauf in die unmittelbare Gegenwart. Romanhaftes und Berichtendes überschneiden sich, durch die eher undichterische Behandlung von Ort und Zeit der Handlung überwiegt der Bericht. Das Erlebte bleibt größtenteils ungestaltet, der Drang des Anliegens scheint Dumitrius dichterische Kräfte zu überfordern und läßt einen Roman nicht entstehen. Viel zuviel Kapital versucht er aus der Zeitgeschichte zu schlagen, schließlich kann das Wirken Gottes hinter dem Eisernen Vorhang höchstens Zeitungsleser überraschen.

Nach dem Bericht über Sebastian, dem Heiligen inkognito, zu einem Werk der Dichtung. Paustowskij verschwendet in seinem Buch und überträgt jene beschauliche Poesie, die nur in der Überfülle des Gefühls, wie sie den Russen eigen ist, ihr Recht hat. Die Jahre 1919 bis 1922 in Odessa, von Paustowskij wehmütig verklärt, quellen über von den Erfindungen des Herzens, auf dessen Schlag so selten geachtet wird. Im Reichtum des Erzählten bewegen sich die Gestalten gedämpft, verhalten, wie schutzsuchend vor dem Ausgesetztsein, das nicht verschwiegen wird. Die Maßlosigkeit, die Leidenschaft, das Abenteuerliche ihres Lebens zu jener Zeit, man hat sie nicht nur ertragen, man hat sie auch ausgetragen. Neu kommen sie hervor im schrulligen Humor, in der drastischen Einfalt der Personen, in der Verwobenheit der Ereignisse, in der Temperiertheit des Gefühls. Ein still wärmendes Licht verbrämt die stürmischen Erschütterungen, eine unerschöpfliche Weisheit macht Härte und Verlassenheit, Hunger und Not versöhnlich. Die Erwartungen sind die des anbrechenden Tages, die Hoffnung überwiegt das Frösteln, das Schauspiel ist größer als die Aktören. Ohne Masken, ohne Vordergrund, ohne falsche Schminke und ohne grelles Licht rollen die Szenen ab. Den einseitigen Kontrasten, den billigen Effekten, dem vorschnellen Behaupten und dem geschwätzigen Streit der Meinungen — all dieser seichten Beliebtheit ist Paustowskij entrückt. Seine Erinnerungen sind erdichtet, wie das nur ein Dichter vermag.

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