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Sitten und Gebrauche gibt es nicht

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Der Schriftleiter der Zeitschrift für „Erwachsenenbildung“, Prof. Doktor F. P ö g g e 1 e r, versucht, die Ursachen für diese „Kulturschande“ herauszufinden: obwohl es deren mehrere gibt, kommt doch zweien eine besondere Bedeutung zu. Innerhalb der einschlägigen pädagogischen Wissenschaft ist das offizielle Erziehungsdenken und -geschehen zu einseitig männlich orientiert und zudem schulisch eingeengt. Erfreulicherweise kann man hier bereits — aus weltweiter und bitterster Erfahrung! — von einer grundlegenden Wandlung sprechen. Eine große Aufgabe bleibt es für die Gegenwart und für die Zukunft, auf die modischen Leitvorstellungen der Frau einen nachhaltigen günstigen Bildungseinfluß auszuüben. Gegenwärtig spielt nämlich in diesen das mütterlich-erzieherische Element eine „verschwindende Rolle“. Allzu einseitig drängt sich ein Frauen-ideal „unverhältnismäßig aufdringlich“ vor, daß das Frausein auf die Rolle der „unabhängig Tätigen“ und der „modischen Wandlungsfigur“ eingrenzt. Die von einer fröhlichen Kinderschar umgebene Mutter sei jedenfalls in den sogenannten Frauenzeitschriften weithin zum Anachronismus geworden.

Ein auch nur bescheidener Einblick in die „neue Generation“ muß jeden erschüttern und aufrütteln zugleich. Die Jugend selbst verrät uns ihre tiefste Not: „Sitten und Gebräuche gibt's bei uns nicht, höchstens das Fernsehen, bei dem meine Eltern meist einschlafen“, meint eine 17jährige Oberschülerin und ihr Altersgenosse aus der gleichen Schule registriert resigniert: „Es gibt keine Liebe, die Mädchen heiraten nur aus Berechnung. Meine Schwester ist da ganz offen. Unter einer Fuhre Erbsen wird man kaum die eine finden, die wirklich liebt.“ Der reifere Oberschüler (18 Jahre) formuliert gleichsam für alle: „Die Eltern wollen uns zu anständigen Bundesbürgern machen, mit anständigem Gehalt, anständigen Frauen und den dann kommenden Kindern. Möglichst noch mit einem anständigen Tod. Sie woHen von uns ein anständiges Zeugnis, daß wir uns anständig benehmen und keinen Anlaß zur Klage geben. Sonst lassen sie uns aber viel zuviel Freiheit, geradezu verantwortungslos viel Freiheit. Wie es in uns aussieht, ist ihnen egal, sie haben keinen Teil daran.“ Unter diesen Umständen darf sich niemand wundern, wenn heutzutage sogenannte „höhere Töchter“ — als richtige „Mlles sans gene — ihre jungen Freunde mit der .Bttorrung in, dte Wöhr* nung einladen, daß sie allein seiett. Und die traurigen Folgen ,'djeser frühen „Selbständigkeit“: verfrühte oder „Mußehen“, über die H. Zbinden (gleich anderen Autoren) bitter klagt.

Diese „neue Generation“ ist gekennzeichnet durch eine reife Einsicht und ehrliche Bereitschaft zur Änderung dieser auf die Dauer unhaltbaren Zustände innerhalb der heranwachsenden Jugend — von der daher Zbinden mit Recht meint, man solle sie nicht die „skeptische“, vielmehr und eher die heim- und haltlose Jugend nennen —, und diese Tendenz wird immer allgemeiner.

Innerhalb der Frauenwelt selbst hat sich eine Wandlung vollzogen, hat die lastende Verantwortung die weiblichen GemüteT bewegt, ihr durch die Schule der Emanzipation geschärftes, selbständigeres Gewissen beunruhigt und sie zur Abhilfe, zur Selbsthilfe, zu einem erfolgreichen Ausweg schreiten lassen. Ohne die (bereits lange und bewegte) Geschichte der „Mütterschulung“ hier aufzurollen — schon früh begleiten hauswirtschaftliche Abend- und Sonntagskurse die direkte Einführung in den hausfraulich-mütterlichen Beruf innerhalb der Familie —, sei hier wenigstens festgehalten, daß sich in der Folge über den freiwilligen weiblichen Arbeitsdienst und die Arbeitsdienstpflicht unzusammenhängende Einrichtungen der deutschen Frauen- und Müttergemeinschaften mit der gleichen Aufgabe beschäftigten, die sie sehr bald zu dem planvoll angelegten, großen „Katholischen Mütterschulungs-werk“ ausgestalteten, dessen Programm die Bildung der ganzen Frauen- und Mütterpersönlichkeit für ihre Aufgabe in Familie, Volk, Staat und Kirche umfaßt. In den Nachkriegsjahren wurde dieses Werk großzügig erweitert, um-trod ausgebaut, und die Frauenvereine und -verbände schlössen sich zu einer „Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Mütterschule“ zusammen, die seither durch Unterstützung von kirch-

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