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Sonniger steirischer Herbst

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Die Grazer Sommerspiele bedeuteten permanenten Abstieg, der nunmehr endlich realisierte „Steirische Herbst“ jedoch ist ein vielversprechender Aufschwung: Musen und Wissenschaft treffen einander zu Konfrontation, Demonstration und Repräsentation.

Sinnvoll eingeschachtelt in das Programm der neuen Herhstspiele, das mit seinen Ausstellungen, Konzerten, Vorträgen und literarischen Manifestationen dem Zufälligen weitgehend entzogen ist, begannen auch die Vereinigten Bühnen ihre neue Spielzeit. Diesmal ohne ein an die Flagge geheftetes Motto, dafür aber mit dem frischen Wind in den Segeln, den ein neuer Intendant mit sich zu bringen pflegt. Er heißt Reinhold Schubert, zeigt unpathetische Arbeitsfreude, wird es aber nicht leicht haben. Denn nach den ersten Premieren zu schließen — ist die frische Brise der neuen Intendanz nur ein laues Lüftchen. — Doch man wird ja weiter sehen …

Es begann mit „Was ihr wollt“. Doch es war nicht, was das erwartungsvolle Publikum wollte. Dieses hätte nämlich gerne die Komödie Shakespeares gesehen. Was indes gezeigt wurde, war eine Art Tragikomödie, ein bißchen im Stile Brechts, in der jedes komische Element mit gründlichem Ungeschick gemeuchelt, jeder Satz systematisch mit Bedeutung geschwängert war: — ein deprimierender Auftakt, an dem vor allem ein Regisseur namens Heinrich von Oertzen Schuld trägt.

Eine Menge guter bis prächtiger neuer Stimmen (besonders Margarita Kyriaki, Edmond Hurshell und Peter Branoff) hoben den ersten Opernabend mit Verdis „Falstaff" auf überdurchschnittliches Niveau. Neben Klobucars Arbeit’mit dem Orchester bewährte sich hier auch die Regie des Intendanten, obgleich der delikate Humor dieses herrlichen Alters- werkes vielfach mit deutschem Spielopernklamauk verwechselt wurde.

Zum 750-Jahr-Jubiläum der Diözese Graz spielte man den ersten Teil der Trilogie von Claudel. „Der Bürge“ ist weiß Gott kein leichtes Stück, weder für die Künstler noch für das Publikum. Aber das Werk, dem . pian. higsulgnäe aus versie denen Gründen nur. bedingte Lebensfähigkeit iügeteitet hatte, ‘‘bekam’ seit der letzten Piapstenzyklika unerwartete Aktualität. Stellt man das Schicksal der Hauptfigur Sygne und deren geradezu inhuman anmutenden Entschluß zum Opfer der eigenen Person in das Spannungsfeld, das die Diskussion um Autorität oder Freiheit, um Gehorsam oder Engagement in der Kirche geschaffen hat, so zeigt sich der von manchen schon abgeschriebene Claudel als ein erstaunlich kräftiges Movens geistiger Auseinandersetzung. Dem Zuschauer bleibt es überlassen, ob er die Selbstaufopferung der Heldin als Montherlantsche Gehorsamsübung oder als tollkühnen Akt existentieller Entscheidung beurteilt. Die Aufführung unter der Dialogregie Olaf Tschierschkes stellte den faszinierenden Schauspieler Otto David mit Recht in den Mittelpunkt.

Immer wieder war in den vergangenen Jahren der Gedanke aufgetaucht, ein szenisches Werk des berühmten Steirers Johann Josef Fux aufzuführen. Intendant Schubert wagte sich nun daran, doch das Ergebnis war leider nicht ermutigend. „Julo Ascanio, Re d’Alba“, das von Andre Diehl im Eggenberger Schloß inszenierte Musikdramolett, dürfte wohl nur den Musikhistoriker interessieren.

Das eigentliche Ereignis dieses Steirischen Herbstes war die österreichische Erstaufführung von Peter Handkes vielberedetem Kaspar. Anhand einer wahren Sprachmate- rialschlacht, einer philologischen MeLsterleistung, zeigt Handke, wie eine sprachlose Figur durch Sprechen zur Sprache gebracht, das heißt manipuliert wird. Kaspar, Handkes Vorführpuppe, ein philologisches Mannequin, wird durch die „Einsager“ zur Ordnung gebracht und zum Einheits- menschen manipuliert. Der Kaspar auf der Bühne zeigt den Kasperln im Publikum, wie sehr sie gesteuert sind in Gehaben und Sprache. Vieles in Handkes Stück ist umgesetzt in Geste, ln Bild, vieles aber bleibt unbüdlich und trocken. Dem Regisseur läßt der Autor kaum freie Hand. Entfernt sich die Inszenierung dennoch (wie Gerald Szyszkowitz in Graz es tat) von der Vorlage, so wirkt Handkes Stück langweilig, theoretisch, fad. Gerettet wurde die Aufführung jedoch durch Wolfram Berger, den mimisch und sprachlich großartigen jungen Interpreten der Titelpartie.

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