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DIE INSEL. Erzählungen auf dem Bärenauge. Von Peter O. Chotjewitz. Rowohlt- Verlag, 370 Seiten. DM 10,80.

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DIE INSEL. Erzählungen auf dem Bärenauge. Von Peter O. Chotjewitz. Rowohlt- Verlag, 370 Seiten. DM 10,80.

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Der Hamburger Hubert Fichte („Die Palette“) und der Berliner Peter O. Chotjewitz haben relativ viel gemeinsam: den Versuch einer authentischen Literatur, die Sympathie mit den revoltierenden Studenten, das Suchen nach einer neuen Lebensform, die Ablehnung eines immer wieder ins Faschistoide abgleitenden Bürgertums, das Bejahen der sogenannten Pop-Kultur, die Altersstufe — und sogar den Vertag. Im Gegensatz zu Fichte, der bezüglich der Konsumation konservativer ist und sich auch bewußt an der „großen Form“ versuchte, entwirft in Chotjewitz’ Roman „Die Insel, Erzählungen auf dem Bärenauge“ der als Rottenkopf verkleidete „Held“ Chotjewitz ständig eine neue Art der Literatur. Und es heißt zu Beginn: „Von seiner nächsten Reise werde ich Rottenkopf statt der Beschreibung von Landschaften, Städten, Menschen, Tieren usw. Bierfilze und Kieselsteine, Servietten, Kaufmannsrechnungen und klimatische Daten, Zeitungsausschnitte und Schnapsflaschenetiketten mitbringen lassen und diese Gegenstände, so wie’ sie sind, dem Leser überreichen: mit der Bitte, sie sich selbst zu beschreiben. Mit der Bitte, sich eine eigene Literatur anzufertigen. Warum noch am Prinzip der Arbeitsteilung zwischen Künstlern und Menschen festhalten.“ ?

Und hach dieser Wunschvorstellung beginnt dann der Roman vom Bärenauge Berlin. Oder ist es gar kein „wirklicher“ Roman? Denn bald merkt man, daß die neue Art von Literatur bereits im Gange ist. Da gibt es Nachrichten von den Beatles, dann taucht ein Roman im Roman auf, noch einer, ergänzt von einer Agentenstory, Litaneien und allerlei Geschichten — alles konzentriert auf das große Bärenauge, in dem sich die kalten Krieger spiegeln, die Studenten und die Polizei, der Schah, wenn er voll Abscheu über die Mauer sieht, und schließlich spiegelt sich hier auch noch Rottenkopf, „der eine geradezu lächerlich kleine Minderheit roter, pseudoakademischer Radikalinskis ist“. Diese Künstler, Gammler, Hippies, Herumtreiber …

Der Roman von Chotjewitz ist schwer an Vorbildern zu messen. Er ist schwer zu vergleichen, weil es nicht viel Vergleichbares gibt. Gewiß ist er nicht einzigartig, weder in der Konzeption noch in der Ausführung., in seiner Lebendigkeit, in seiner Vielfalt von Einfällen und Anregungen, seiner scheinbaren Unbekümmertheit ist er aber dazu geeignet, das literarische Denken in neuere Bahnen zu lenken. Eine neue Literatur stellt die „Insel“ nicht dar, aber sie könnte mit der ironischen, parodistischen Ablehnung des ästhetischen Trampelpfades eine neue Literatur einleiten. Eine Literatur, die vom Leser nicht mehr Ehrfurcht und Anbetung stiller Größe verlangt, sondern Respektlosigkeit und Kritik. Demokratisierung der Kunst? …

Und wenn Chotjewitz den Leser auffordert, mit seinem Buch zu spielen, Kapitel, die ihm nicht gefalllen, durchzustreichen oder Seiten herauszureißen, dann besteht vielleicht die Gefahr, daß sein Buch am Ende nicht mehr ganz so dick ist. Anderseits ist der Rest wahrscheinlich noch immer mehr wert als das meiste von dem, was sich anspruchsvolle Literatur nennt und Geld kostet.

PS: Sollte Sie das alles nicht überzeugen, sollte das alles nichts nützen,

dann halten Sie sich das Zitat des Autors vor Augen und handeln Sie je nach Temperament und Überzeugung: „Gegen Regen hilft keine Wettervorhersage, sondern nur ein Regenschirm. Gegen dieses Buch hilft keine Literaturkritik und keine eigene Lektüre, sondern nur ein Kanister Benzin und Zünder.“

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