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Spiritismus

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„In dieser Nacht erschien mir die verstorbene Baronesse von W. Sie war ganz in Weiß gekleidet und sagte zu mir: .Guten Tag, Herr Wirklicher Geheimrat!'“ Swedenborg

Kein Zweifel, sie erscheinen. Aber ihre gute Zeit ist dahin. Einst wurden sie von Ben-venuto Cellini in der Mondnacht des Kolosseums lateinisch heranzitiert: das war fast eine Ehre. Der Beschwörer handelte auf eigene Verantwortung; er tat etwas Verbotenes, etwas Entsetzliches und hatte sich seinen Vorwitz mit dem Schauder verdient. Oder sie erschienen dem Herrn Buchhändler Nicolai, wie er sich gerade die Perücke pudern ließ: das war sicher ein Vergnügen. Aber dann wurden sie von der Romantik entdeckt und literarischen Zwecken nutzbar gemacht, und das war der Anfang vom Ende. Fleute jedoch, daß Gott erbarm, werden sie phänomenologisch von Privatdozenten beschrieben, man redet über sie wie von Gasturbinen oder Montessorischulen und denkt sich weiter nichts Schlimmes dabei.

Indessen, es gibt zwei Sorten von Gespenstern. Die einen erscheinen unaufgefordert. Sie stehen plötzlich in der Dämmerung da, kramen nachts phosphorgrün am Schreibtisch herum, oder halten dem Schlafenden die kalte Hand auf dre Stirn, daß er schreiend aufwacht. Oder sie sind unsichtbar, aber sie singen, und ziehen mit ihrem Gesang mitten durch die erstarrte Gesellschaft hindurch. Von diesen wollen wir hier lieber nicht reden.

Die anderen jedoch werden zitiert, sie erscheinen auf Verlangen, und damit fängt eben leider die Misere an. Denn man hat noch nie davon gehört, daß heute ein einzelner Mensch einen Geist zitiert hätte: nein, die Herrschaften tun sich zu einem Zirkel zusammen — man ist auf Gespenster subabonniert und hat ein spannendes Gesellschaftsspiel gefunden. So sind nun die armen Gespenster in die öde Kategorie des Interessanten herabgesunken; ach, sie sind eben auch nicht mehr das, was sie früher waren! Die Neugier hat sie vors Opernglas genommen, die Neugier der Wissenschaft und auch die Neugier der Langeweile — denn es ist so furchtbar interessant, zu wissen, wie es drüben aussieht. Das bißchen hysterische Kreischen, das wohl mit unterläuft, kann an der Tatsache nichts ändern, daß Gespenster ■ heute mitleidlos photographiert, in Paraffin abgegossen und auf der Dezimalwaage gewogen werden. Also auch hier der Versuch, die Imponderabilien nach Kilogramm zu berechnen.

Man rede mir nichts von Schwindel. Selbstverständlich läuft auch der mit, wie auf jedem Felde menschlicher Betätigung, und es leuchtet ein, daß die Dunkelheit dieses Feldes ihn schon reizen mag. Allein bereits die simple Ueberlegung sagt, daß der Intelligenzaufwand eines von zehn Professoren überwachten Schwindelmediums den eines mittleren Hoteldiebes weit übersteigen muß, während doch das Mediumhonorar sich mit dessen Juwelenbeute auch nicht annähernd vergleichen kann. Nein, Spiritismus ist für den Schwindler ein dorniges Arbeitsgebiet, kein vernünftiger Gauner wird sich darauf einlassen. Bliebe also die nicht unbegreifliche Neigung, gerade Professoren hineinzulegen — aber die kann wohl schwerlich so massenhaft auftreten, wie heutzutage die Gespenster.

Und so bleibt denn die betrübliche Tatsache bestehen, daß die alten ehrlichen Gespenster von Anno Aberglauben heute hoffnungslos banalisiert sind. Sie scheinen es auch selber einzusehen und blödeln auf Befragung in einem Tone daher, der selbst Leichenwürmern den Magen umdrehen müßte. So gute Sachen wie: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!“ geben sie schon längst nicht mehr von sich, doch sie halten sich um so mehr an das darin ausgesprochene Prinzip. Mit Berlin reden sie berlinerisch und mit Kansas-City in einem psychoanalytisch-theosophischen Slang, der in der Tat gespenstisch wirkt. Dabei wird nicht ungern Schiller zitiert. Das geht sehr bequem: Stubenmädchen einmal, Zimmerkellner zweimal, Schiller dreimal. Man stelle sich das nur vor: Ottakring saugt an der Sphäre!

Und wenn man dazu überlegt, daß der Erdball immerfort durch seine Schattennacht rotiert, und daß mithin von den betreffenden Zirkeln in Punta trenas, Müllhausen und Singapore ständig Geister zitiert werden, so drängt sich unabweisbar die Vorstellung eines klingelrasselnden Hotelvestibüls auf, in dem die Unsterblichen, wie Liftboys aufgereiht, Dienst machen und mürrisch auf den nächstfälligen Anruf warten. Es möchte kein Hund so länger tot sein.

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