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Tiefgang und Unterhaltung

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Es gibt kaum Romane, die so zur Dramatisierung reizen wie die Dostojewskis. Sie sind weitgehend dialogisiert, manchmal nehmen die Stellen außerhalb des Dialogs nicht mehr Platz ein als Regiebemerkungen, das Gesprochene hat Schlagkraft.

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Es gibt kaum Romane, die so zur Dramatisierung reizen wie die Dostojewskis. Sie sind weitgehend dialogisiert, manchmal nehmen die Stellen außerhalb des Dialogs nicht mehr Platz ein als Regiebemerkungen, das Gesprochene hat Schlagkraft.

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Dies gilt gerade auch für den 103 Jahre alten Roman „Schuld und Sühne“, der, schon oft dramatisiert, durch das gewaltige Gefüge seiner Handlung, seiner psychologischen Zusammenhänge, das Entstehen immer wieder anderer Bühnenfassungen ermöglicht. Die neueste Dramatisierung durch Walter Lieblein, der auf Wiener Bühnen bereits mit zwei Umsetzungen von Dostojewski-Romanen Erfolg hatte, brachte das Volkstheater zu Uraufführung. Das Verbrechen des jungen, hungernden Studenten Raskolnikoff nimmt im Privaten vorweg, was in unserer Zeit im Politischen zu ungeheuerlicher Bedeutung gelangte. Die Massenmörder unseres Jahrhunderts maßten sich das Recht an, Millionen Menschen um eines von ihnen postulierten Gemeinschaftszieles willen zu töten. Sie würgten in sich die in den Menschen gesetzten moralischen Impulse ab. Raskolnikoff sagt sichv alle Gesetzgeber und Führer seien ausnahmslos Verbrecher, seien blutdürstig geworden, wenn sie Ideen verwirklichen wollten, die sie für das Menschengeschlecht als von Nutzen erachteten. Um sich seihst zu beweisen, daß er ein Übermensch ist, mordet er. Aber er muß sich dann gestehen, es nur für sich selbst getan zu haben. Die sehr zeitgemäße Frage mag sich ergeben, inwieweit bei den mordenden Gewaltherrschern in unserem Jahrhundert das Gemeinwohl nur Maske ihres Machttriebs ist.

Liebleins Dramatisierung setzt wie der Roman mit dem zweiten Besuch Raskolnikoffs bei der Wucherin ein und führt dann alles Wesentliche im Handlungsgefüge wie in der psychologischen Entwicklung vor, wobei die Schicksalsgewalten spürbar werden. Gustav Manker bietet als Regisseur eine vorzüglich durchgetönte Aufführung, bei der sich die Wirkung in ruhiger Entwicklung bis zum Schluß steigert. Sigurd Zahner baute auf der Drehbühne ein Geschachtel simultaner Schauplätze auf. Wolf-gang Hübsch ist als Raskolnikoff ganz der verhungerte Kerl mit dem bohrenden Selbstanspruch, gehetzt vom Bewußtsein seines „Versagens“. Eine starke Leistung. Großartig wirkt Helmut Qualtinger als Untersuchungsrichter, er verbindet Menschliches mit dem Forschenden und der Freude am seelischen Experiment. Jutta Schwarz bleibt dagegen als Sonja etwas blaß. Gute Besetzung der weiteren dreißig Rollen.

Die Bühnen des Burgtheaters wie die des Theaters in der Josefstadt bringen Stücke heraus, die sich in keiner Weise aus dem laufenden Spielplan herausheben. Sie ignorieren die Festwochen. Das Theater in der Josefstadt begnügt sich vollends mit einem publikumswirksamen Unterhaltungsstück, das mehr als fünfzig Jahre alt ist, mit der Komödie „Herr im Hause bin ich!“ von Harold Brighouse, die in der Victorianischen Zeit spielt. Als Herr im Haus setzt sich nicht Hobson, der Inhaber eines Schuhgeschäftes, durch, sondern die älteste seiner drei Töchter, die energische Maggie, die den in der väterlichen Werkstatt tätigen, handwerklich vorzüglichen Gesellen Wülie mit erheblichem Nachdruck veranlaßt, sie zu heiraten. Er ist zwar geistig zurückgeblieben, aber das holt er unter ihrem Einfluß nach, und sein Können, ihre geschäftliche Tüchtigkeit bedingen den gemeinsamen Aufstieg. Ein altes Theaterrezept bewährt sich. Belangloses, Antiquiertes, gut durchgebacken, mundet dem Publikum. Unter der Regie von Erik Frey sind alle Rollen deckend besetzt, die Gestalten werden überzeugend durchgezeichnet Elfriede Ott als Maggie, Alfred Böhm als Willie, Jochen Brockmann als Hobson beeindrucken vor allem. Die Komödie „Scheidung auf englisch“ von Hugh und Margaret Williams, die in den Kammerspielen zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte, wirkt noch belangloser. Die Gattin eines reiferen Mannes, der seit acht Monaten nebenbei eine Geliebte hat wird von ihren Freundinnen, geschiedenen Frauen, zur Scheidung gedrängt söhnt sich aber knapp vor der gerichtlichen Verhandlung mit dem Ungetreuen aus. Das zieht sich etwas schwerfällig hin, wirkt nur mäßig unterhaltend, endet als Schwank. Doch wird auch hier unter der Regie von Peter Loos vor allem von Vilma Degischer und Karl John als Ehepaar und Lotte Lang als eine der Freundinnen trefflich gespielt.

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