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Uber Gustav von Festenberg

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Wer sich bemüht, im Werk Vesterbergs das Grundmotiv aufzudecken, findet es sogleich in seinem Buch „Ein Tag wie alle“. Wie eine winzige Insel aus dem Ozean des Un-bewufsten erhebt sich dieser Tag, und von der Spannung und dem Wechsel zwischen Realem und Irrealem ist nicht nur dieses Buch erfüllt, sondern auch die anderen Bücher des Dichters. In allen wird das Persönliche bis in Einzelheiten sichtbar, aber zugleich auch die große Distanz, die Festenberg zwischen sich und seinen Selbstdarstellungen aufrechterhält. Das Leben hat ihm mehrere Rollen zugeteilt: die des Weltmannes und Trägers ererbter europäischer Tradition, die eines Sektionsrates, die des Dichters — aber mit keiner von ihnen identifiziert er sich, er erfüllt sie, ohne sich an sie zu verdingen. Er braucht den „tierischen Ernst des Schreibenden“ nicht anzunehmen, well er das Sein des Dichters hat. Genaugenommen ist er ein Revolutionär mit umgekehrten Vorzeichen. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Revolutionär, der innen bleibt, was er war, dafür aber die äußere Ordnung sprengt, revolutioniert Festenberg innen, löst sich von der gefügigen Ordnung, in die er hineingeboren ist, aber unter Respektierung der überlieferten Form.

Charakteristisch für die Haltung Festenbergs, auch der Kunst gegenüber, ist der hohe Grad seiner Bewußtheit: „Wenn ich Kunst sagte, dann meinte ich die Fähigkeit, das Unsichtbare sichtbar, das Unhörbare hörbar, das Ungreifliche greifbar zu machen. Ins Sinnliche zu bannen, was von Rechts wegen nur dem Geistigen angehörte.“

Aber Festenberg kennt auch die Täuschungen, und ein großer Teil seiner Arbeit befaßt sich mit ihnen. Eben weil er den verborgenen Grund weiß, analysiert er mit unerbittlicher' Rationalität die Schwebezustände der menschlichen Seele: Zugleich aber sind die Schilderungen dieser Seinsbereiche so dicht mit Leben erfüllt, so unverwechselbar in ihrer Farbe, im Schillern ihrer „Haut“, daß sie allein dadurch volle Wirkung und Geltung haben. — In „Nachbarschaften“ erreicht das irrationale Erleben einen Grad, der den heute kaum noch erlaubten Vergleich mit Kafka aufzwingt, so eindeutig diese Intensität aus eigener und nicht aus fremder Quelle gespeist ist.

Festenberg vermag in besonderer Weise auch in kurzen Stücken, in Novellen und Erzählungen, ein menschliches Schicksal in seiner ganzen Eigenart und Atmosphäre wiederzugeben. Bergengruen, der bekannteste Repräsentant dieser Kunst in unseren Tagen, sprach unlängst davon, wie selten solche Begabung ist, und es wäre zu wünschen, daß die österreichische literarische Öffentlichkeit besser begriffe, was sie auch in dieser Hinsicht an Festenberg besitzt.

Verborgen hinter scheinbarer Kühle und Skeptizismus ist, inmitten des vielschichtigen Werkes, ein umhegter Raum unverletzt geblieben: der Garten der Kindheit. Der Dichter läßt uns durch einen Spalt hineinschauen, in „Dosi“ steigt eine Welt herauf, die in ihrer Geborgenheit und ihrem Gehalt heute keinem Kind mehr zuteil werden kann. Die Wurzeln, die Festenberg mit dem Erdreich dieses Gartens verbinden, sind nicht abgerissen. Das subtile und reine Empfinden ist in der Mitte des Spannungsfeldes Festenberg erhalten geblieben, es behauptet sich in allen seinen Wagnissen der Tiefe und der Höhe.

Es gehört Mut dazu, in solcher Weise ungebunden „mit gleich freien Augen überall hinzuschauen“, zu dieser Haltung, die Festenberg schon innehatte, ehe sie zur literarischen Forderung unserer Zeit wurde. Es ist eine Kraft, die den Leser In ihren Bann zieht und die jedem Gespräch mit Festenberg die Spannung gibt. Seiner inneren Spannkraft fügen sich auch seine gelebten siebzig Jahre, Jahre, die In ihrer steten Erneuerung lebendigen Reichtums noch viel Frucht in sich bergen.

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Werke in Auswahl: Das Buch vom Tanz, Autinous, Mythos (1920), Dosi. Erzählung (1931), Das stille Tal. Roman (1937), Ein Tag wie alle. Roman (1939), Geliebte und Ungeliebte. Roman (1942), Der Zauberer. Roman (1949), Wiedersehen in Paris. Novellen (195$), Übertragungen aus dem Französischen und Russischen.

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