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Undset, Cocteau, Papini

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Frau Hjelde. Roman. Von Sigrid Undset. Herausgegeben von J. Sandmeier. Herder, Freiburg. 156 Seiten (Herder-Bücherei 17), Preis 1.90 DM.

Es ist schrecklich, wenn ein Roman nicht an der richtigen Stelle aufhört, geschrieben zu sein. Man liest dann eben trotzdem weiter: die Geschichte wird von Seite zu Seite schlechter. So geht es leider diesem Roman der Sigrid Undset, der nicht nach Kapitel III, sondern nach Kapitel VII endet. . . Hätte diese ehemalige Schauspielerin und jetzige Gattin-Mutter-Hausfrau bei dem fälligen Erholungsurlaub den Jugendbekannten getroffen und — wie es im Roman ist — keinen Flirt gehabt, sondern diesem Schwärmer mit ihrer ebenso herrlichen, kleinen Ironie ein wenig Verstand beigebracht, dann wäre die Geschichte stilvoll im Inhalt, wie sie es in der Schreibweise ist. Aber es kommen noch drei qualvolle Kapitel, die man sich denken konnte (bis auf den Deus ex machina — in diesem Falle eine „Dea“ — in der Gestalt der Untermieterin Fräulein Bomann). Wir wußten nach den ersten Kapiteln, daß die Heldin Uni so ist und so reagiert, wie in den letzten Seiten geschrieben steht, denn sonst hätten die ersten Seiten schon nicht gestimmt — Aber vielleicht ist dies auch eines jener Bücher von Sigrid Undset, die nur für rrauen verständlich sind . . .

Die Saaten Kains. Roman. Von Rosalina Coelho-Lisboa. Nach der französischen Uebersetzung aus dem Portugiesischen ins Deutsche übertragen von Guido G Meister. Walter-Verlag, Ölten. 302 Seiten. Preis 15.80 sfrs.

Durch drei Generationen verfolgt dieser Roman die Geschichte einer brasilianischen Familie — drei Generationen der brasilianischen Geschichte sind damit verbunden. Was zeitlich unserer Geschichte noch so nahe ist: die Abschaffung der Sklaverei, der Untergang des brasilianischen Kaiserreiches, der Beginn der Revolutionen und Freiheitskämpfe klingt wie ein Geschehen aus fernen Zeiten. Erst bei der Lektüre dieses Romans merkt man, wie weit wir Europäer in die Geschehnisse unserer Zeit verstrickt und wie fremd uns das Land Brasilien und sein Volk sind Das Leben auf den weiten Fazen-das, den Landgütern, das Leben in Rio, im Volk und unter dem Adel, Ereignisse aus dem privaten Leben derer, die in die Geschehnisse der Politik eingreifen — all dies schildert Coelho-Lisboa in einer Dichtung, die den großen Gesellschafts- und Familienromanen der Weltliteratur gleichkommt. Die Dichterin selbst gehört durch Geburt zu einer der Familien, die im Freiheitskampf Brasiliens eine große Rolle spielten, und man hat den Eindruck, aus nächster Nähe und Verwandtschaft von den Helden berichtet zu bekommen.

Valentin. Roman. Von Franz F a ß b i n d. Benziger, Einsiedeln. 216 Seiten. Preis 12.35 sfrs.

Valentin ist ein kleiner Junge, dessen Mutter gestorben ist und dessen Vater unbeholfen vor der schwierigen Traumwelt des Kindes steht. Träume leiden nicht an der Nachdenklichkeit wie das Wachsein: Wachsein ist kontrolliert, Träume kennen den Unterschied von Möglichem und Unmöglichem noch nicht. Wir lebten einst alle wie dieser Valentin. Leider haben wir die Polizisten der Wirklichkeit aufgestellt, sind „Erwachsene“ geworden, die gegen eigene und kindliche Träumereien unduldsam wurden — Es ist wirklich gesund, wenn man Faßbind in diese Welt zwischen Traum und Erwachen folgt: ohne romantisch zu werden, verspürt man, was- wir durch die Polizei unseres Verstandes an Lebenskunst verloren haben. Ein wenig Mut zur Phantasie — und sogar für uns Erwachsene könnte das Leben wieder lebendiger werden und die lähmende Langeweile ständiger Gewohnheit würde nachlassen ...

Tagebuch eines Unbekannten. Von Jean Cocteau Propyläen-Verlag bei Ullstein, Berlin. Ueber-setzt von Johannes P i r o n. 248 Seiten.

Schädel — dieses Buch könnte noch viel besser sein, wenn der „Unbekannte“ nicht so eitel wäre. Der „bekannte“ Cocteau ist mir viel lieber als dieser, der aus seiner alltäglichen Beobachtung des Alltags schön gedrechselte Ferienessays macht. „Ueber die Geburt eines Gedichts“, „Ueber ein Bravourstück“, „Ueber' Dauerwellen“, „Ueber relative Freiheiten“, „Ueber Entfernungen“, „Ueber die Freundschaft“, „Beschreibung lebender Bilder“ — das sind einige seiner Themen, sind interessante Themen; aber der Schreiber ist ein wenig zu indiskret. Müssen denn „Tagebücher“ so sein? — Schade!

Guckloch zur Welt. Von Giovanni Papini. Uebersetzt von Anna von N o s t i t z. Josef Knecht, Frankfurt. 213 Seiten. Preis 9.80 DM.

Scharfe Augen, gespitzte Feder und ein gütiges Herz hatte der alternde Papini, darum sagte er die Wahrheit, ohne zu verletzen. In seinem letzten Buche, das vor seinem Tode-erschien, lenkt er den Leser auf „Welt“, „Mensch“, „Zeit“, „Religion“ und „Erinnerung“; lauter Einfälle, Meditationen, Kritiken, Analysen und Poesie in Prosa. Hin und wieder in diesem Buche zu lesen, bringt den seltenen Gewinn, daß man nachdenklich wird und heiter zugleich.

Rückkehr nach Reims. Ein Bericht zwischen Traum und Wirklichkeit. Von Peter Berglar-Schröer: Bonner Buchgemeinde. 216 Seiten.

Ein gescheites Buch, das an acht verschiedenen Lebensauffassungen den Sinn des Lebens verdichtet und deutet. — Bei einem Zugsunglück warten in Reims acht Reisende darauf, daß die Bahnstrecke repariert und ihnen die Heimreise ermöglicht werde. Aufgeschreckt durch die überwundene Todesnähe erzählen sie einander von ihren Lebenseinsichten und Lebensrichtungen. Sie versprechen einander, sich nach Ablauf eines Jahres im gleichen Wartesaal wieder zu treffen und einander zu gestehen, was sie aus ihrem Leben gemacht hätten. In jede Art dieser acht „Leben“ kommt das Scheitern; früher oder später hält nichts Gedachtes oder Erträumtes dem lebendigen, geschichteverbundenen Leben stand. Die Naturbesessenheit, die Kunst, der Gang in die vergangene Geschichte als Historiker, die Besorgung der Familie, der Eifer für und in Politik, nicht einmal die fromme Innerlichkeit und auch nicht die Flucht in die bergungverheißende Vermassung, nichts kann zu Ende gelebt werden. Nach den acht Bekenntnissen wird man sich unter Qualen und Wehren einig, daß die Aufgabe der Persönlichkeit, besser: die Aufopferung der Persönlichkeit in Gott hinein, das einzige Ziel sein kann, und dies nur, wenn und weil Gottes erlösendes Erbarmen dieses Opfer sich holt. Dieses Buch ist keine Konstruktion, die einer Vorgefaßten Idee dient, sondern ein echter, rechter Roman: Spiegel des Lebens und des Menschen und des einzelnen im erzählten Drama eines Einzelfalles. Allerdings darf der Leser nicht nur Unterhaltung suchen, sondern muß gewillt sein, sich Wahrheiten sagen zu lassen.

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