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Vollreife Komödien

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Die alte Komödie „C y p r i e n n e“ von S a r d o u und N a y a c, neuinszeniert im Akademietheater. Diese alten Komödianten, was für Kenner des Menschen waren sie doch oft! Sie, die Erben der mechanischen Psychologie, der aufgeklärten Philosophie vom 1'homme-machine, von der Maschine Mensch, wissen nicht nur alle Hebel, Rädchen und Webstühle aufs artigste in Bewegung zu setzen, um Spieler und Publikum auf das aufmerksamste zu unterhalten, sie wissen, sie haben noch mehr. Sie haben, verborgen unter tausend Masken und Redensarten, noch mehr Substanz. Weit mehr, als ihre pseudo-extasi-schen impressionistischen und expressionistischen Nachfahren ahnen und wahrhaben wollten. — Eine junge Frau tanzt auf die Bühne. Cyprienne; sie langweilt sich in ihrer jungen Ehe mit ihrem kreuzbraven Mann. Ein banausischer, berechnender Flegel, Adhemar, erscheint ihr als ein Adonis, gekommen von den glücklichen Inseln Cytherens, sie zu befreien, zu freien. Nach der Scheidung. — Wir sind im Land der Zivilehe, in Paris 1880, die Deputierten debattieren gerade die Scheidungsnovelle in der Kammer. — Da tritt der junge Gatte auf den Plan: in seiner Gestalt überspielt Sardou die kleine Frau, setzt ihr Kopf und Herz zurecht durch seine scheinbare Einwilligung in die Trennung. Der Seitenspringer, Adhemar (nicht, wie sonst sooft der Ehemann), wird, eine hilflos-unwillige Beute, den Lachern vorgeworfen. Glück und Glanz und Kerzenschimmer umfängt das junge Paar. — Eine beschwingte Aufführung, getragen von der Gold, welcher Jürgens und Meinrad allerliebst assistieren.

Gastspiel der Josefstadt in den Kammerspielen: „Pünktchen und Anton“ nach dem „Roman für Kinder“ von Erich Kästner. Nein, es ist kein Stück für Kinder, obwohl Kinder (die teilweise gar nicht kindlich) die Hauptrollen spielen und nichts vorkommt, was Kinder nicht hören und sehen dürfen, können, sollen. Es ist ein Kästner-Stück. Für sehr Erwachsene. Für Berliner zunächst und ihr Leben im Dual, im Gegensatz. Und für andere Städter. — Kästners Mischung aus Sozialsatire, Moralpredigt, Märchenbild und Großkinderulk. Bert Brecht: „humanisiert“, entklammert aus puritanisch-kalvini-scher Herrschsucht und Enge, erweicht zur sehr großstädtischen „Süßspeise“. — Ja, es liegt schon ein eigener Zauber auf dieser Kästner-Kinderwelt: Pünktchen, das Töchterchen des Herrn Generaldirektors, und ihr Freund Anton, der Enkel der alten Bedienerin, spielen die „Großen“, die „Erwachsenen“ in die Mitte des Menschlichen zusammen. Kinder erziehen ihre Eltern, ihre Umwelt und Umgebung, stiften Frieden, schenken Freude, kämpfen gegen das Böse, das inkorporiert ist In Robert, dem .Teufel“, wie Pünktchen den schiefen Bräutigam ihrer Erzieherin Fräulein Andacht nennt. Das Kind weiß noch allein die Dinge und die Menschen beim rechten JJamen zu nennen, ihm ist deshalb die Kraft gegeben, diese Welt vom Bösen zu befreien.

Utopie? Märchen? Pathetiker lassen die Welt an Heroen leiden, andere sie durch Heilige erlöst werden. Kästner läßt sie durch Kinder retten. Wieviel Resignation und Verzicht steckt doch in diesem Stück: die Einsicht, daß keine Flucht nach Utopia, Nirvana, auf den Olymp oder in den Ätna dem Menschen heute wirklich helfen kann. Helfen könnte nur: ein argloses, offenes Herz. Die Wahrhaftigkeit und Unbedingtheit eines reinen Menschen, einer schlichten, aber unbedingten Existenz. Kästner wagt, in echter Scham, dies nur auszusagen im Kostüm von Kindern, Im Symbol eines Stückes für Kinder. Die Erwachsenen ... vielleicht sind sie ganz verloren ... Ein bitterdüsterer Ton schwebt um die heiter-helle Reimerei. Pünktchen und Anton stehen im Dunkel der großen Stadt, die Tochter des Reichen verkauft Streichhölzer, der Knabe der Armen Schuhbänder. Dann läßt der Dichter sie Hand in Hand in ein neues Leben schreiten, in ein Leben voll Licht, Wärme, Zuversicht. Aber er läßt keinen Zweifel offen über seine Einsicht: dieses „D - gibt es nur in seinem Stück. In einem Stüde für Kinder. In einem Märchen. — Dies der reife Hintersinn seiner Figuren. — Gerührt verläßt das Publikum das Haus.

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