"Lacht, bis euch der kleine Bauch weh tut"

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Erich Kästner wäre am 25. Februar 100 Jahre alt geworden. Die Kinder von heute verschlingen seine Geschichten genauso wie die Generationen vor ihnen.

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Erich Kästner wäre am 25. Februar 100 Jahre alt geworden. Die Kinder von heute verschlingen seine Geschichten genauso wie die Generationen vor ihnen.

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Emil und die Detektive. Das doppelte Lottchen. Hmm. Da war ja noch ... Ah ja, das fliegende Klassenzimmer.

Als Kinderbuchautor ist Erich Kästner in den Köpfen zahlreicher Leser fest verankert. Die Nachkriegsgeneration hat die Geschichten von dem kleine Jungen in seinem dunkelblauen Sonntagsanzug oder den Zwillingen mit den blonden Zöpfen gleichermaßen verschlungen wie Computerkids von heute.

Doch der deutsche Autor ist nur rein zufällig in die Gruppe der Kinderbuchautoren "gerutscht". Er selbst bezeichnet sich als "Opfer" der Überredungskunst seiner energischen Verlegerin Edith Jacobsohn. Seine "Opferrolle" meisterte er aber bravourös - allein in Deutschland wurden bis zur Mitte der neunziger Jahre 1,7 Millionen Exemplare seines ersten Romans in diesem Genre (Emil und die Detektive, 1929) abgesetzt. Das "international berühmteste deutsche Kinderbuch des 20. Jahrhunderts" ist bereits in mehr als 30 Sprachen erschienen und begeistert die jungen Leser dank Kästners unverblümtem Eintreten für eine glückliche Kindheit.

Moderner "Pädagoge" Ihn als Reformer der Pädagogik zu bezeichnen, wäre übertrieben. Aber so, wie er es aber in Politik und Kultur getan hat, war er auch auf diesem Gebiet ein aufmerksamer Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen. Modernen pädagogischen Ansätzen schenkt er in seinen (Kinder-)Romanen und Gedichten ausreichend Platz und rechnet so mit seinen eigenen Lehrern gehörig ab.

"Mißtraut gelegentlich euren Schulbüchern!" und "Laßt euch die Kindheit nicht austreiben!" lauten einige Parolen Kästners in seiner "Ansprache zum Schulbeginn". Im Kinderroman "Das fliegende Klassenzimmer" (erschienen 1933, kurz vor dem Publikationsverbot in Deutschland) hat der Autor Lehrern, die durch Persönlichkeit statt Gewalt überzeugen, ein Denkmal gesetzt. Den Kindern gab er den Ratschlag mit ins Leben: "Seid glücklich, so sehr ihr könnt! Und seid lustig, daß euch vor Lachen der kleine Bauch weh tut!"

Obwohl sich der "kleine" Erich (1,68 Meter Körpergröße) - wie er zwecks der Unterscheidbarkeit von seinen späteren Journalistenkollegen Erich Ohser und Erich Knauf genannt wurde - von seinen pädagogischen Ideen leiten ließ, erkannte er bereits als Hilfslehrer, daß seine Berufswahl ein Irrtum war: "Ich war kein Lehrer, sondern ein Lerner. Ich wollte nicht lehren, sondern lernen."

Trotz seiner Herkunft aus einer Arbeiterfamilie und vor allem dank des aufopfernden Einsatzes seiner Mutter gelang ihm der Wechsel an die Universität. Der bühnenbegeisterte junge Mann begann das Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft und verließ die Universität Leipzig 1925 als Doktor der Philosophie.

Auch viele Jahre später - nach dem Krieg - fühlte er sich für die Erziehung der Jugend verantwortlich, insbesondere für die Generation der im Dritten Reich Geborenen. Als Herausgeber der anspruchsvollen Jugendzeitschrift "Pinguin" verstärkt er seine Rolle als Anwalt der Kinder und der Kindheit. Mit den Worten "Pinguin ist mein Name! Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist." begrüßte er die jungen Leser in der ersten Ausgabe.

Kästner mußte sich seine Erfolge jahrelang erarbeiten und versuchte, mit Schreibarbeiten aller Art seine Existenz abzusichern: "Überall Aufträge erhalten. Muß arbeiten wie ein Heupferd im Geschirr. Tut aber gut." schrieb er damals an seine Mutter. Diese Bemerkung kennzeichnet auch den Alltag der nächsten Jahre.

Er nimmt bereits während des Studiums zahlreiche "Schreibarbeiten" an. Doch auch als er ein ausgesprochen fleißiger und zunehmend anerkannter Journalist ist, gibt er sich damit nicht zufrieden: "Zu dumm! Die Doktorarbeit liegt herum und ist gut; die Gedichte sind gut, und niemand wird recht ranwollen! Na, Däumchenhalten! Wenn ich 30 Jahr' bin, will ich, daß man meinen Namen kennt. Bis 35 will ich anerkannt sein. Bis 40 sogar ein bißchen berühmt. Obwohl das Berühmtsein gar nicht so wichtig ist. Aber es steht nun mal auf meinem Programm. Also muß es eben klappen! Einverstanden?", informiert der 28jährige Kästner seine Mutter über Karrierepläne.

Und was Erich Kästner seiner Mutter versprochen hat, das hält er. Schon von klein an war es für ihn das wichtigste, seine Mutter nicht zu enttäuschen: "Da sie die vollkommene Mutter sein wollte und war, gab es für mich, die Spielkarte, keinen Zweifel: Ich mußte der vollkommene Sohn werden. Wurde ich's? Jedenfalls versuchte ich es." (Aus "Als ich ein kleiner Junge war", 1957).

Es gelang ihm auch diesmal: 1929 erschien die erste Ausgabe von "Emil und die Detektive" und schon wenige Jahre danach schuf er den Begriff der Gebrauchslyrik und veröffentlichte "Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke". Daraus sollte der Leser bei Bedarf seine Reime zu sich nehmen. Mit diesen Gedichten hoffte Kästner, selbst zu jenen Lyrikern zu gehören, deren Verse "das Publikum lesen und hören kann, ohne einzuschlafen". "Seine Gedichte sollen dieselben Eigenschaften besitzen wie die Lederportemonnaies und Schulranzen, die sein Vater herstellte: Es sollen sorgfältig gearbeitete, haltbare und nützliche Gebrauchsgegenstände sein", beschreibt Isa Schikorsky die Wünsche des Autors in einem Porträt anläßlich des Jubiläums.

In seiner Lebensplanung nicht berücksichtigt - zumindest nach außen hin - hat Erich Kästner die politische Entwicklung seines Heimatlandes.

Doch daß er sie gespürt haben muß, verraten nicht nur die Verszeilen über "das Land, wo die Kanonen blühn" (1927). Mit verblüffender Weitsichtigkeit prophezeite er den Untergang der Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und den nächsten Krieg. "Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün. / Was man auch baut - es werden stets Kasernen. / Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn? / Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!"

Verbittert, enttäuscht Als er trotz der Machtübernahme der Nationalsozialisten in der Heimat blieb, verliehen ihm seine Freunde den Titel "der letzte in Deutschland gebliebene Emigrant". "Noch aus der Ferne fürchtete man für sein Leben, das jeden Augenblick in einem Konzentrationslager untergehen konnte", beschreibt Max Krell 1961 und erinnert sich an die Tage, als Kästner der Verbrennung seiner eigenen Bücher beiwohnte. Auch der Autor selbst dachte noch oft an das "gemeinste" seiner Erlebnisse zurück: "Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. . . . Es war widerlich. Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: âDort steht ja Kästner!' . . . Mir wurde unbehaglich zumute. Doch es geschah nichts." Er hielt durch.

"Erich Kästners Popularität hat sich über den Krieg hinaus erhalten und erreicht in den fünfziger Jahren ihren Höhepunkt", berichtet Schikorsky im Porträt des Autors. "Wenn er aus seinen Werken liest, sind selbst große Säle überfüllt . . . Doch sein Ansehen beruht auf Leistungen der Vergangenheit."

Kästners Grundidee scheint trotz seiner Standhaftigkeit nicht aufzugehen. In seinem gesamten Werk verpflichtet er sich dem Gedanken, daß "der Mensch durch Einsicht zu bessern sei". Doch zu oft wird ihm vor Augen geführt, daß sich dieser Wunsch niemals erfüllen wird.

Alkohol betäubt seine Verbitterung über die gesellschaftliche Wirkungslosigkeit seines Schreibens, die innere Leere und die Sehnsucht. Nichts ist mehr zu erkennen vom zielstrebigen Autor.

Auch privat entpuppt sich der Traum vom Familienglück als alptraumhafte Zerreißprobe. Neben der ewigen Liebe zu seiner Mutter schaffte er es nicht, sich zwischen Geliebter und Gefährtin, zwischen familiärer Verantwortung und Unabhängigkeit zu entscheiden. Vielleicht wollte er es auch nicht.

Als er erfährt, daß er an Speiseröhrenkrebs leidet, lehnt er eine Behandlung ab. Erich Kästner stirbt am 29. Juli 1974.

Fernsehtips Das doppelte Lottchen 20. Februar, 13.10 Uhr, ORF 2 Emil und die Detektive 20. Februar, 14.50 Uhr, ORF 2 Pünktchen und Anton 21. Februar, 14.00 Uhr, ORF 2 Das fliegende Klassenzimmer 27. Februar, 13.10 Uhr, ORF 2 "Pünktchen und Anton" wurde erst im vergangenen Jahr unter der Regie von Caroline Link neu verfilmt. Im Cecilie Dressler Verlag erschien dazu eine Sonderausgabe des Kinderbuches mit farbigen Bildern (Pünktchen und Anton, Sonderausgabe zum Film, Cecillie Dressler, Hamburg 1999, öS 145,-).

Kästner zum Kennenlernen Zwischen Goethe-Schwemme und Strauß-Welle haben es die sonnengelben Titelseiten der Kästner-Kinder-Bücher besonders schwer einen vorderen Platz in den Schaufenstern zu bekommen.

Für ein erstes Kennenlernen genügt es, einige seiner Werke oder vielleicht das soeben erschienene "große Erich Kästner Lesebuch" zur Hand zu nehmen. (Das große Erich Kästner Lesebuch, dtv, Januar 1999, öS 146,-) Beginnt man erst quer durch sein Lebenswerk zu schnuppern, wird bald der Wunsch nach mehr aufkommen.

Für jeden ist etwas dabei: vom Volksschüler, über die geplagten Erwachsenen bis hin zu den Großeltern, die noch in ihren (Kindheits)Kriegs-erinnerungen verweilen. Gebrauchsliteratur eben - jedoch von höchster Qualität.

Die Bekanntschaft mit dem Moralisten Fabian lohnt sich ebenso wie der "Gebrauch" seiner Gedichte. Ganz zu schweigen von Emil und den anderen kleinen Geschöpfen, die der Feder des deutschen Autors entstammen. Vor allem rund um seinen Geburtstag werden die bekannten Romane im sonnengelben Design neu aufgelegt: Zum Jubiläum: Emil-Doppelband (Emil und die Detektive, Emil und die drei Zwillinge), Cecilie Dressler Verlag, Hamburg 1998, 20 DM Erich Kästner - dtv porträt, von Isa Schikorsky, November 1998, öS 109, Ein besonderer Genuss: Erich Kästners Kindergeschichten als Hörspiele: Pünktchen und Anton, Das fliegende Klassenzimmer, Die Konferenz der Tiere oder gelesen vom Autor persönlich: Als ich ein kleiner Junge war (alle erschienen bei Polygram Klassik, Kinder & Literatur, zumeist als MC und CD erhältlich). V. R.

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