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Die Schule der Diktatoren

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Diktaturen brauchen das Idol und den Apparat. Fehlt ihnen eines davon, sind sie in Gefahr. Nicht nur bei Stalin gingen öfter Gerüchte um, er sei in Wahrheit längst tot, und nur ein Double mit ähnlicher Physiognomie säße an seiner Stelle. Diese Art von Täuschung der Massen durch auswechselbare Idol-Marionetten hat Erich Kästner in seinem blutigernsten Kabarett-Schauspiel „Die Schule der Dik tatoren” zu einem bestürzenden Theatereinfall inspiriert. In seinem Diktaturstaat, der alle menschlichen Werte einem gespenstigen Apparat geopfert hat, ist der Präsident, das Aushängeschild gegenüber dem Volke, ermordet worden Doch die Funktionäre der Tyrannei waren für diesen Fall vorbereitet. Sie hatten käufliche Kreaturen engagiert, die äußerlich dem Präsidenten glichen, und hatten diese Aehnlich- keit in Körperform, Gesichtsausdruck, Gewicht, Redeweise usw. unter wissenschaftlicher Leitung so frappierend weiterentwickelt, daß bei erneuter Ermordung des „Staatsoberhauptes” jeweils postwendend ein neues Exemplar zur Verfügung steht. Kein Wunder, diese stets scheinbar glimpflichen Attentate schaffen sogar, ganz nach dem Wunsch des Systems, im Volke einen Mythos der Unzerstörbarkeit und der Unsterblichkeit des Präsidenten. Nur so gelingt es auch in Kästners grausiger Utopie eines perfektionierten Gewaltstaates dem hohlen Premier und seinem eiskalten und zynischen Kriegsminister, im Volke den Glauben an ihren Staat wąchzuhalten. Nicht gerechnet haben diese Systematiker der Unterdrückung indessen damit, daß sich ausgerechnet ein gefürchteter, längst tot- geglaubter Gegner ihres Regimes in diese Aspirantenleihe der Präsidenten-Nachfolger einoeschlichen hat, um im entscheidenden Moment dem Volke Freiheit und Menschenwürde wiederzugeben Kästners Resignation wird nun am deutlichsten darin, daß er selbst diese Rebellion an der Allmacht der Apparat-Manager scheitern läßt. Sein Held stürzt zwar die eine Diktatur. doch jenes neue Militärkollektiv, das ihm seine Ergebenheit vorspielte, erledigt ihn auf die einfachste technische Weise: es läßt ihn ins Mikrophon soviel reden, wie er will, doch die Rede wird gar nicht, wie der Rebell glaubt, in den Aether geschickt. Durch den Staatsstreich der neuen Militärclique wird also eine Diktatur von der anderen abgelöst, und der Rebell nimmt sich das Leben. Sein Schrei „Warum ließt ihr mich so allein?” hallt entsetzlich nach, wie der Ruf der Freiheit an das Gewissen der Menschen, die überall in der Welt (hier meinte Kästner natürlich insbesondere seine eigenen Mitmenschen von 1933 u. f.) einmal die Tyrannis willig über sich kommen ließen.

In diesem Lehrstück, das ist das Beklemmendste, sind alle Figuren Attrappen, nicht einmal einer der Diktatoren selbst ist „Person”. Selten hat Kästner eine so scharfe Zunge gehabt, und selten hat er, um der Satire willen, seine heimliche Liebe zum Menschen so völlig verhüllt. Es ist nicht immer dramatisch ganz dicht und konsequent dieses Stück, aber Kästner weiß sich über solche Stellen durch neue Einfälle oder pointierte Dialoge hinwegzuhelfen. Führt nun seine Vision der eiskalten Roboter-Politik und Menschenapparate unser zeitkritisches Bewußtsein weiter voran? Nein, das ist nicht der Fall Es konnte vielleicht auch gar nicht der Fall sein, weil der Dichter der kabarettistischen Resignation und der Elegiker der Freiheit hier etwas von seinem Herzen herunterschreiben mußte, was mehr als zwei Jahrzehnte lang in ihm gewurmt hat. Die heutigen Diktaturen mit ihrer raffinierteren Technik zu entlarven, wird anderen Vorbehalten bleiben. Kästners Stück vermehrt indes, und zwar keineswegs als das geringste, die Reihe der Camus („Belagerungszustand”), Sartre („Räderwerk”), Saroyan, Frisch usw. um ein weiteres düsteres Schaubild methodischer Entmenschung durch den Totalstaat.

Packend setzte Hans Schweikart das Stück in den Münchner Kammerspielen in Szene. Die knappe, kalte Atmosphäre wurde von ihm ohne Uebertreibung, aber doch stets merklich übernommen. Neben Kurt Meisel in der Rolle des Rebellen zeichneten besonders Peter Lühr und Hans Magei starke Profile.

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