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Ein Mann gibt Auskunft

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NOTABENE 45. Ein Tagebuch von Erich Kästner. Mit Zeichnungen von Paul Flon

Fisrher-Riirhppoi 14ft Gsii u.i. c 10 o-

„Soso, der Kästner sind Sie!“ Die Bemerkung des Oberstabsarztes bei der Musterung verhieß nichts Gutes. Aber wenige Minuten später war Erich Kästner für militärdienstuntauglich erklärt und ausgemustert. „Wie man Freunde hat, die einen nicht mehr kennen wollen, hat man zum Ausgleich andere, die man selbst nicht kennt“, so kommentiert der Autor jenen Vorgang, der ihn vor dem Heldentod bewahrte und uns

— neben vielem, das Kästner nach 1945 geschrieben hat — das lesenswerte Kriegstagebuch „Notabene 45“ bescherte.

Verehrer und Leser, die in ihm ihren Freund sahen, hatte Kästner freilich viele tausende, es mögen auch hunderttausend gewesen sein. Denn mit seinen vier Gedichtbänden „Herz auf Taille“ (1927), „Lärm im Spiegel“ (1928), „Ein Mann gibt Auskunft“ (1930) und „Gesang zwischen den Stühlen“ (1932) war er der weitaus erfolgreichste Lyriker jener denkwürdigen Jahre, bevor die lange Nacht begann. Es waren freilich Gedichte von besonderer Art, die Kästner schrieb: „Gebrauchslyrik“, konservativ in der Form, brav gereimt und schön übersichtlich in Strophen gegliedert. Sehr im Gegensatz zu ihrer äußeren Manierlichkeit war ihr Inhalt: hochaktuell, politisch engagiert, „breite Kreise“ ansprechend, immer wieder die Freuden und Miseren des „kleinen Mannes“ schildernd

— und dies aus der Perspektive eines melancholischen Einzelgängers, der letztlich, auch wenn er recht heikle Themen traktierte, ein Moralist war („Die Geschichte eines Moralisten“ ist bezeichnenderweise auch der Untertitel von Kästners erstem und einzigem großen Roman „Fabian“ von 1931).

Nach 1933 war Kästner, obwohl Vollarier und Nichtkommunist, als Kriegsgegner und Antifaschist einer der bestgehaßten Autoren, dessen Bücher verboten und, soweit man ihrer habhaft werben konnte, verbrannt wurden. Aber sie wurden von ihren Besitzern wie Schätze gehütet, und obwohl man mit manchem darin Anno 1930 nicht ganz einverstanden sein konnte — drei Jahre später lernte man Kästners bittere Weisheiten besser verstehen und schätzen. Vor dem Rezensenten liegt ein durch vieles Verleihen schon recht abgegriffener Band von „Ein Mann gibt Auskunft“ einer späteren Auflage (18. bis 20. Tausend), in der auf Seite 12 das seinerzeit viel zitierte und rezitierte Gedicht „Die andere Möglichkeit“ durch ein „lyrisches“ mit dem Titel „Herbst auf der ganzen Linie“ ersetzt wurde. Das ursprüngliche ging ungefähr so: „Wenn wir den Krieg gewonen hätten / mit Wogenklirr und Sturingebraus / dann wäre Deutschland nicht zu retten / und gliche einem Irrenhaus.“ Ein anderes, das die deutsche Aufrüstung anprangerte, begann mit den Worten „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?“

Erich Kästner, um die Jahrhundertwende in Dresden geboren, besuchte zunächst ein Lehrerseminar, wurde 1917 Soldat, kehrte krank aus dem Krieg zurück und studierte, nach wenig befriedigender Tätigkeit in verschiedenen Brotberufen, Germanistik. Seit 1927 lebte er als freier Schriftsteller in Berlin. Aber dort hatte er nur fünf gute Jahre, dann mußte er untertauchen und konnte nur anonym arbeiten. So kam er, mit falschen Papieren und von Freunden beschützt, mit einem Team der UFA im März 1945 aus Berlin heraus und nach Tirol, wo er — angeblich — das Drehbuch zu einem Bergfilm schreiben sollte. Diese Zeit vom 7. Februar bis 2. August 1945 schildert das Tagebuch. Kästner benützte dazu ein i als „Blindband“ getarntes Notizbuch, das er von Berlin über Mayerhofen im Zillertal nach München mit sich führte. Die Aufzeichnungen sollten „Zündstoff fürs Gedächtnis“ und Unterlagen für einen großen Zeitroman sein. Aber bald nach Kriegsende kam er zu der Erkenntnis, daß das 1000jährige Reich nicht in dieser Form zu „bewältigen“ ist und überhaupt nicht zur „großen Form“ taugt, weil man, wie Kästner sagt, „eine zwölf Jahre lang anschwellende Millionenliste von Opfern und Henkern nicht architektonisch gliedern kann“. So legt er nun diese Aufzeichnungen, die immer wieder unterbrochen wurden, unfrisiert vor. Er will damit nur Material liefern und gewissermaßen zur nachträglichen Anschauung des Vorgefallenen beitragen, nicht Bilanz ziehen. Denn das ist Aufgabe der Historiker.

Der „Stoff“ also sind die letzten

Kriegstage in Berlin, die abenteuerliche Existenz des von den „Eingeborenen“ mit Recht gehaßten UFA-Teams in den Tiroler Bergen und die ersten Schritte zur Begründung einer neuen Existenz in München, wo Kästner von 1945 bis 1948 Feuilleton-Redakteur der „Neuen Zeitung“ war, eine Jugendzeitschrift herausgab und für das Münchner Kabarett „Die Schaubude“ schrieb. (Heute ist er Präsident des deutschen PEN-Zentrums.) Den österreichischen Leser interessieren vor allem Kästners Impressionen aus Tirol, als die ersten Amerikaner auftauchten und die Ostmärker sich wieder in Österreicher zurückverwandelten. Das ist für einen Patrioten nicht angenehm zu lesen — aber es ist die Aufgabe des Chronisten (und Moralisten), die Dinge so zu schildern, wie sie waren — und nicht so, wie man sich wünscht, daß sie sich abgespielt haben sollten. In diesem Sinn mag man Kästners „Notabene 45“ 20 Jahre später mit Nutzen ad notam nehmen.

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