6791684-1970_41_11.jpg
Digital In Arbeit

Vorsichweiterblödeln

Werbung
Werbung
Werbung

Über den Band Kurzprosa mit dem Titel „Maulwürfe“ von Günter Eich hat Marcel Reich-Ranicki seinerzeit unter der Chiffre „Vorsichhinblö-dein“ alles Nötige gesagt Aber der renommierte Lyriker und Hörspielautor setzt seinen Irrweg mit traum-wandlerischer Unbedrrtheit fort Neueste Station: „Ein Tibeter in meinem Büro/49 Maulwürfe“. Will heißen: Nicht der große poetische Wurf ist geplant, sondern das Aufwühlen von Sprach- und Wertreich, und was maulend aufgeworfen wird — weder weit, noch besonders hoch hinaus —, ist nichts als zerbröckeltes Gedanken- und Wortmaterial, und alles nur nicht geistreich. Günter Eich, in die Jahre gekommen, will sungen wie die Jungen, aber mit einem Unterschied: Er unterläßt wenigstens ihren erbitterten Ernst, er mokiert sich, wiewohl einigermaßen melancholisch. Es wird „gehofft, gehupft, gesprungen, soweit kommt man bei guter Nebelsicht über die Sprache hinaus.“ Ja.und wohin? Zu dem Begriff, der die Skizze betitelt: „Preisgünstig“. (In der Umgangssprache schlechthin Ramsch genannt.) Manche Wortspielerei will wohl das Wortspiel persiflieren, etwa „Odys-seus verzehrt sich vor Sehnsucht, guten Appetit.“ Oder die Überschrift: „Verkehrsknoten gelöst“. Ein „Rückläufiges Wörterbuch“ verzeichnet orthographisch gewalttätig, „die Frauen rächen das Heu und das Heu hat es verdient.“

„In eigener Sache“ wird dann das Entscheidende einbekannt. Offenbar ist der Dichter des Dichtens überdrüssig, denn: „Nachtigallen kann auf die Dauer nur ertragen, wer schwerhörig ist.“ Uberhaupt: „Viele meiner Gedichte hätte ich mir sparen können, ich hätte jetzt ein Kapital, könnte so ungereimt leben wie ich wollte.“ Nein, Kapital ist tatsächlich derzeit nicht vorhanden, nur geistiges Kleingeld: „Je mehr desto jewski.“ (Das sollte nicht wahr sein dürfen.) Und wenn selbst jenes einmal ausgeht, dann stiehlt Günter Eich unverfroren Extravaganzen bei Günter Eich und zahlt mit sprachlich spottbilliger „Baumwollust“, die sich doch schon in dem Gedichtband „Anlässe und Steingärten“ als zweifelhafte Prägung erwiesen hat. Später führt eine „Botanische Exkursion“ zu dem fatalen Eingeständnis: „Auch in der Poesie suche ich mein Thema vergeblich. Etwas stimmt da nicht.“ Und, beinahe wieder ergreifend: „Manchmal möchte ich Dichter sein, aber man findet sich ab.“ Gleich darauf ein mißlungener Gedankensprung, der sich leichtfertig stellt: „Mein Bedarf an Girlanden wird durch die Industrie gedeckt, ich bin so negativ wie ein Nichtraucher.“ Nur, nicht wahr: Kunst wäre Kunst, aber Girlanden sind bestenfalls Kunstgewerbe.

Nein, wir lassen uns auch von einem Mann mit literarischen Meriten verbalen Schabernack nicht als neuartigen Tief sinn aufbinden. Auch verblüffende Zwischenfragen („... was sagte Noah, als er seine Freunde im Regen zurückließ!“) erheben keinen Anspruch auf Antwort, inmitten eines absolut nichtssagenden Textes. Mag sein, daß wir den Galgenhumor eines Lyrikers vor uns haben, der den Ernst seiner Begabung nicht mehr begreift. Doch sein Witz trifft meistens nicht einmal schwarzen Humor, geschweige denn ins Schwarze. Und alle seine Leichtigkeit wirkt verkrampft oder, wie er selbst zugibt: „Im Steiße meines Angesichts bemühe ich mich...“ Man merkt es, leider. (Um im Tonfall zu bleiben: gejandelt wie geeicht.)

EIN TIBETER IN MEINEM BÜRO , brosch. Von Günter Eich. Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main 1970. 76 Seiten DM 10.—

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung