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Wachstum im Geiste

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Ein dreifaches Gedenken feiern wir in diesem Jahr: Vor 60 Jahren wurde unser Bischof Paulus Rusch geboren, vor 30 Jahren erhielt er die Priesterweihe, und vor 25 Jahren ernannte ihn der Heilige Vater zum Bischof unseres Kirchengebietes.

Mit dem gläubigen Volk grüßt ihn zu diesen Anlässen besonders dankbar durch mich auch die Tiroler Landeshauptstadt, in der er residiert.

Wer von uns kennt nicht Menschen, die kein Verhältnis zum Religiösen haben, denen, so scheint es, dabei nichts abgeht? Wer weiß nicht, daß dieser Typus besonders in den Städten und Industrieorten das Antlitz der Gesellschaft bestimmen kann? Durch mehrere Generationen blieben in ungezählten Familien die Religion und damit die religiöse Veranlagung brach liegen, würden verlacht, ausgetreten. Mensch des Glaubens schien der zu sein, der das Wagnis des Menschseins noch gar nicht ausgekostet oder feige aufgegeben hatte. Das ist der Geist unserer Zeit, der sich immer maskenloser offenbart und in die Massenvernichtung hineintreibt. Unsere Zeit kennzeichnet — vom geistlichen Standpunkt aus — eine große Mittelmäßigkeit, eine fade Durch- schnittlichkeit. Lustlos schleppen wir uns wie eine müde Truppe die breiten Asphaltstraßen dahin. Wir vernachlässigen unsere Seele vor lauter Geschäftigkeit, wir verkriechen uns hinter eine schöne Fassade und geben uns mit unserer sogenannten Bravheit zufrieden. Doch braucht es heute mehr als bloß Bravheit. Es braucht christlichen Wagemut, den Mut, wie der hl. Ignatius einmal sagte, aus sich herauszuspringen.

In dieser Zeit, da alle Unterschiede in einem trüben Grau zu verschwimmen drohen, ist Bischof Rusch ein Feuer, das glüht, das weithin Licht ausstrahlt, das aufzeigt, was Christ sein in dieser Welt heißt.

Unseres Bischofs Wahlspruch: „Christo Regi vita nostra” mahnt, daß das Königtum Christi und das Leben der Gegenwart zusammengehören und daß ohne diese Verbundenheit der Mensch in Gefahr ist, die Herrschaft über sich selbst und die Dinge zu verlieren.

Religiöses Leben ist Dienst zu Gott hin und erfüllt sich als Welt-Dienst im Kreislauf der Liebe, in dem Gott und Welt zueinander- stehen.

Aus dieser Wechselwirkung heraus erhält auch die Arbeit unseres Bischofs Sinngebung und Kraft. Mit Jammern und Schimpfen ist nicht geholfen. Bischof Dr. Rusch zeigt es uns vor als Seelsorger, als Prediger, Vortragender und Schriftsteller, als Kirchen- und Wohnungsbauer, als Förderer der Seminare und des Priesternachwuchses, als Referent für soziale Fragen, für Auslandsseelsorge und Flüchtlingshilfe in der österreichischen Bischofskonferenz und als Vorsitzender der Pax- Christi-Friedensbewegung bei uns und in der Welt.

Tirol wandelt sich von einem Bauernland zu einem Industrie- und Fremdenverkehrsland. Vor hundert Jahren wohnten noch 10 Prozent der Bevölkerung in der Stadt und 90 Prozent auf dem Lande und waren dort naturgemäß zum größten Teil Bauern. Heute leben bereits 40 Prozent der Bevölkerung in der Stadt. Die Dörfer aber sind zum Großteil Mischdörfer, in denen neben Bauern, Arbeiter, Angestellte,

Beamte, Pensionisten und schließlich viele Pendler leben. Vor 40 Jahren waren noch 46 Prozent in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt, heute sind es nur mehr 24 Prozent. Die Zahl der Betriebe ist allein in Innsbruck in den letzten drei Jahren um 1300 gewachsen. In Vorarlberg, das ja auch zur Diözese unseres Bischofs gehört, ist die Industrialisierung noch stärker. Gegen 40 Prozent der Beschäftigten sind Frauen.

Daher ist auch die Sorge um die Gruppe der unselbständig Erwerbstätigen gewachsen. Sie ist entscheidend für das Schicksal der Kirche in unserem Lande. Deshalb sorgt sich unser Bischof vor allem auch um die Erziehung der jungen Generation, der leider nur zu oft am Arbeitsplatz das Wesen aus dem Charakter gerissen wird. Wohl verläßt der tote Stoff veredelt die Stätte der Arbeit, die Menschen aber verderben an Leib und Seele. Hier hat Dr. Rusch vor allem eingegriffen und betriebs- kundliche Seminare eingerichtet, die den dreifachen Sinn der Arbeit herausstellen sollen: den Dienst an der Persönlichkeit des Menschen in der Entfaltung seiner Anlagen und Fähigkeiten, den Dienst an der Gemeinschaft und den Dienst an der Schöpfung. Diese Seminare helfen, die Arbeitsmoral zu stärken, die Kameradschaft zu versittlichen, denn nur ein idealer Kamerad darf einen idealen Chef verlangen. Betriebsaussprachen sollen Mißtrauen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die in gleicher Weise zum Dienst am Menschen aufgerufen sind und nicht zur Habsucht, überwinden und die Uninteressiertheit am Betriebsgeschehen beseitigen. Wie das alles geschehen kann, zeigt Bischof Dr. Rusch in seinen Büchern „Gott will es”, „Junger Arbeiter, wohin?”, „Menschen im Betrieb” und in seinem Kommentar zum Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe.

Hier mobilisiert er die Kräfte der Betriebsführung und der Betriebsverfassung und zeigt auf, daß Arbeit nicht Last und Zwang, sondern Freude und Kraft, daß sie keine Beschäftigung, sondern Beruf ist. Sie darf die menschliche Würde nicht zertreten und eigene Verantwortung nicht ausschalten. Sie ist wesentlich Selbstbeherrschung, Disziplin, Zuverlässigkeit und nicht nur Mühe und Opfer. Viel kann man erreichen durch Pochen auf sein Recht. Alles nicht. Alles kann nur erreichen,

wer liebt, auch innerhalb der Kasernenstruktur der Fabrik.

In unserer Zeit braucht es also — so notwendig wie einmal im Krieg — eine Sinngebung des Daseins, die Orientierung am Ewigen, Kraft von oben und viel, viel Liebe. Es braucht aber auch noch Priester.

So hat unser Bischof nicht nur Knaben- und Priesterseminare gebaut, sondern mit der Heilig-Jahr-Siedlung auch gezeigt, daß Wohnungsbau angewandte Familienpolitik ist. Seinen Priestern aber hat Bischof Rusch ein Buch geschenkt, das sie auf neuen Wegen der Betrachtung zum „Wachstum im Geiste” führt. In seinem Werk „Kirche im Gebirge und anderswo” aber gibt er eine treffende Diagnose der gegenwärtigen seelsorglichen Situation und ihrer Ursachen, ein klassisches Aktionsprogramm der modernen Seelsorge, nicht rezeptartig, sondern stets auf das Grundsätzliche und unmittelbar auf die Praxis bezogen. Der Bewältigung dieser Aufgaben gilt die Neuerrichtung von Pfarren, die Erneuerung pfarrlichen Lebens, die Aktivierung der Laienschaft, die mit Initiative, Verantwortung und Eigentätigkeit in der kirchlichen Gemeinschaft stehen söll. Was unser Bischof in seinem Buch „An junge Christen” sagt, gilt uns allen: Wir sollen Pfadfinder sein in unser Innerstes, zum Mitmenschen und zu Gott.

Unseres Bischofs Sorge gilt nicht zuletzt auch der Erziehung zur Demokratie. Im eigenen Bereich führt er sie praktisch durch in Jugendgruppen und in der Erwachsenenbewegung, wo Helfer und Führer mit Mit- spracherecht und Verantwortung arbeiten und die Priester nur die Rolle eines Beraters haben. Eine richtige Wertordnung, die bei den Entscheidungen im Leben als Maßstab gilt, die Bildung des Gewissens, die Verteidigung der menschlichen Würde schaffen die Voraussetzung, um das Ziel zu erreichen: Ein echtes Volk, das mündig ist, an das Gemeinwohl denkt und in dem Egoisten keinen Platz haben.

So sind also Seelsorge und soziale Erneuerung die Bereiche, in denen unser Bischof durch Anregung und Planung, durch väterliche Führung und mutvolle Verwirklichung am Bild des neuen und christlichen Menschen schafft und weit über die Grenzen seines Kirchengebietes Echo und Aufnahme findet.

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