6705535-1963_50_10.jpg
Digital In Arbeit

WARUM STERBEN DIE ULMEN?

Werbung
Werbung
Werbung

Seit das Wort Park ein Verbum geworfen hat (ob man es parken oder auf schweizerisch parkieren schreibt), geht der Tod unter den Bäumen doppelt so schnell um. Platz für Parkplätze, kein Platz für Parks! Die Bäume müssen fallen: in Paris, in Berlin, in London und auch im einst so bäumereichen Wien. Morgen für Morgen rücken die Kolonnen aus, nicht mehr mit Beil und Hacke und Handsäge, sondern mit den motorisierten Mordwerkzeugen. Gestern war es noch eine liebe alte Gasse mit lauschigen Bäumen, morgen wird es ein kahler Betonschlauch sein. Den Parks und Anlagen schneidet man vom Rande und von den Straßen her Wiese, Baum und Strauch meterweise ab. Die älteren Leute sehen es mit Kummer, die jungen triumphieren: endlich Platz zum Parken! Und billiges Holz für billiges Papier, damit man billige Zeitungen, Magazine, Illustrierte darauf drucken kann. Schnell wachsende Bäume, Massenware Baum, billige Bäume, die sich rasch vermehren, damit der Bodenpreis in kürzerer Zeit umgesetzt wird. Der Tod geht um unter den Bäumen, und wenn man erst gelernt haben wird, aus Seetang, Schilf oder Dreck das Papier zu machen, das durch Bedrucken wieder zu Dreck gemacht wird, dann hat allen Bäumen die Sterbestunde für immer geschlagen. An den Autobahnen kann man da und dort schon künstliche, aus biegsamem Gummi gefertigte Bäumchen sehen — „viel praktischer als die natürlichen Bäume, biegen sich beim Anprall und fangen den Stoß ab”. Es gibt unter den Bäumen wie unter den Tieren und — nach Kierkegaard — ja auch unter den Menschen „Regenpfeifer”, die das kommende Gewitter voraussagen. Es gibt Bäume, die sterben, noch ehe die elektrisch betriebene Säge angesetzt wird. ,

Seit Jahrzehnten führen Biologen und Forstleute einen verzweifelten Kampf um das Leben der Ulmen. Durch das Schlagen erkrankter Bäume versucht man, die noch gesunden vor Ansteckung zu bewahren. Mit jedem Baum, der gefällt wird, verringert sich aber der Gesamtbestand, ohne daß die überlebenden Ulmen wirklich sicher wären. Der Ulmentod geht um, und kein Arzt vermag ihn aufzuhalten.

Man spricht von einer geheimnisvollen Krankheit und hat recht damit, obwohl das Leiden der Ulmen für den Pflanzenphysiologen und für den Bakteriologen um nichts geheimnisvoller ist als etwa die spinale Kinderlähmung. Man kennt den Erreger der Graphiose, der „holländischen Ulmenkrankheit”. Es ist der Spaltpilz Graphium ulmi, eine Abart des Schlauchpilzes Ceratostomella ulmi. Er reizt den Organismus des Baumes zur Absonderung klebriger, gummiartiger Flüssigkeit, wodurch die Wasserbahnen verstopft werden. Es ist nicht viel anders als bei der Verkalkung oder thrombotischen Verstopfung von Gefäßen im menschlichen Körper. Die betroffenen Äste verdorren. Zuerst welken die Blätter an irgendeinem Zweig, dann stirbt der Zweig, stirbt der Ast, sterben immer größere Teile des Baumes ab. Die Axt des Holzfällers beseitigt den Bazillenträger. Man schneidet erkrankte Stellen aus dem Holz, verwehrt dem Borkenkäfer, der den tödlichen Pilz von Baum zu Baum schleppt, durch Pechringe den Weg stammaufwärts, aber man wird des Leidens nicht Herr. Und darum, weil es unheilbar scheint, nicht weil wir seinen Ursprung nicht kennen würden, nennt das Volk so geheimnisvoll

Wie sagte Moeller van den Bruck? „Es gibt keinen Kaiser mehr, weil es keine Kaiserlichkeit mehr gibt in der Welt, und es gibt keinen König, weil es keine Königlichkeit mehr gibt.” So wird es auch keine Ulmen mehr geben, weil es keinen Adel mehr gibt.

„Adel und Untergang” hat Josef Weinheber einen schwermütigen Gedichtband genannt. Bei den Römern war die Ulme ein Baum der Trauer und des Todes. Ist aller Adel von allem Anfang zum Untergang verurteilt?

Zum Bild dieser adeligen Kultur und des 18. Jahrhunderts gehörte die Ulme. Durch Alleen und Avenuen von Ulmen fuhren mit isabellfarbenen Schimmeln die Damen des Ancien Régime, ritten die großen Reitergenerale, die Türkenbesieger, die Marschälle des Sonnenkönigs, Kaiser Leopolds und des Großen Kurfürsten. Ulmen standen vor den Schloßterrassen und in den Parks des Prinzen Eugen, Augusts des Starken, der Sporck und Schönborn, der Montecucolli und Vendôme. Zu den uralten Rüstern, den edlen Rotulmen, aus deren Holz Speichen und Achsen der vergoldeten Karossen gedreht wurden, gehören die großen Herren, die in Fontanes und Münchhausens Balladen noch leben, gehören die zum Martyrium bereiten Ritter und Kleriker aus den Romanen der Handel-Mazzetti und Jaroslaw Durychs. In den Wipfeln der Ulmen rauschte das Lied versunkener Größe, adeligen Maßes und ritterlicher Zucht.

Es war eine lästige Mahnung für unsere Zeit. Das neunzehnte Jahrhundert ertrug sie noch, die Zeugen konservativer Vergangenheit und des aristokratischen Europa. Sie fügten sich als Museumsstücke in den Eklektizismus einer Epoche, die sich gern mit dem Erbe der Vergangenheit schmückte, weil sie noch an eine größere Zukunft glaubte. Ein Moltke durfte noch sagen, es lohne sich, nach unvergleichlichen Triumphen weiterzuleben, um „einen Baum wachsen zu sehen”. Bismarck konnte den Mann hassen, der im Garten des Reichskanzlerpalais die alten Bäume fällen ließ. Franz Ferdinand von Österreich-Este, der selbst fallen mußte, damit die neue Zeit sich nicht an diesem Felsen brach, brauste auf in zorniger Totenklage, wenn man ihm einen alten Baum geschlagen hatte. Das Zeitalter des Betons und der Massen, der Propaganda und des totalitären Staates, des totalen Krieges und der Atomzertrümmerung, des Atheismus und des Pauperismus, der jenem folgt wie die Aaskrähe dem Henker, dieses zwanzigste Jahrhundert erträgt die Ulme nicht mehr, wie es eines nicht zu fernen Tages überhaupt keine Bäume mehr ertragen wird, sondern nur noch in Festmetern gemessenes Holz, Rohstoff für Zellulose, Rotationspapier und Schießbaumwolle.

In den „Kulturparks” des Termitenmenschen werden genormte Bäume stehen, deren Uniformität das graue Einerlei der Gleichheit nicht stört; vielleicht werden sie aus Werkstoff und Buna sein, Schattenmaschinen sozusagen, Säulen zum Anlehnen der Motorräder. Auf Sumpfland wird man Unkraut züchten, das mehr Zellstoff rascher und billiger liefert als die Bäume. In den großen Tod geht die Ulme den anderen Bäumen voran.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung