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WIE DER BÄR MAKAR SEINEN HERRN VERLIESS

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Nach Süden und Norden, nach Osten und Westen ziehen tich endlose braune Zedern- und rostigrote Föhrenwälder hin; dazwischen Tannen, Erlen, Maulbeerbäume, Wacholder-sträucher und verkrüppelte Zwergbirken. In den Lichtungen lauern im Moos zwischen den Torfmooren gefährliche braune, tiefe Tümpel.

Schon im September begann es zu frieren; harter bläulicher Schnee bedeckte die Erde. Nur drei Stunden am Tage war es hell — die übrige Zeit herrschte dunkle Nacht. Schwere Wolken hingen tief über der Erde. Ringsum war Stille; nur die Elche röhrten und die Wölfe heulten.

Auf einer Anhöhe über dem Fluß lag ein einsames Dorf. Seine Bewohner verließen es zur Winterszeit für viele Wochen, um in der Taiga zu jagen.

Im Frühjahr schwollen die Flüsse an und wurden breit, gewaltig und reißend. Der Schnee schmolz, der Himmel war von durchsichtiger Bläue, die Kiefern bedeckten sich mit stark duftenden harzigen Kerzen. Die Tiere des Waldes — Bären, Wölfe, Elche, Blaufüchse und Eulen — wußten um den herannahenden kurzen Sommer. Überall regte sich Leben: Auf dem Fluß schnatterten Eistaucher, Schwäne und wilde Gänse ...

Um diese Zeit versammelten sich an den Abenden auf dem Abhang über dem Fluß die Mädchen des Dorfes in bunten Kleidern und sangen Volkslieder. Zu ihnen gesellten sich die aus der Taiga heimgekehrten Burschen. Im hohen Norden haben diese Unterhaltungen seit eh und je ihr eigenes Gesetz: die Burschen werben hier, miteinander wetteifernd, um ihre zukünftigen Frauen. Der Stärkste und Geschickteste führt das schönste Mädchen heim.

Marina war zwanzig Jahre alt. Sie hatte schwere, schwarze Zöpfe, dunkle Brauen und Wimpern, feuchtglänzende Augen mit geweiteten Pupillen... Auch sie sang des Abends mit den anderen Mädchen schwermütige Weisen. Nach Hause zurückgekehrt, legte sich Marina auf ihr Bett, kreuzte die Arme unter dem Kopf, öffnete ihre dunklen Augen, preßte die Lippen zusammen und lag stundenlang wach. Seit ihrer Geburt wuchs Marina wie eine wilde Distel — frei und einsam — inmitten der Taiga zwischen den Jägern auf.

Demid lebte in einem kleinen Haus am Flußufer in der Nähe des Dorfes. Der Wald war so nahe, daß seine dunkelgrünen Zedern und Kiefern wie mit Tatzen nach dem Häuschen zu greifen schienen... Von hier genoß man einen herrlichen Rundblick über den ruhelosen düsteren Fluß, die Niederungen dahinter und die Taiga.

Das aus rohbehauenen ■ Bohlep zusammengefügte Haus a war angefüllt “.mit BäreR^?,Bieiö-fc W rffereC^l^fa^V.\und: Hermelinfellen, welche an den. Wänden hingen und auf dem Boden ausgebreitet lagen. Überall sah man Gewehre und Netze... Das Haus bestand aus zwei Zimmern und einer Küche. In einem Zimmer, dessen dürftige Einrichtung aus einem Tisch und einigen mit Bärenfellen bedeckten Stühlen bestand, wohnte Demid; nebenan hauste sein Bär Makar.

Demid war breitschultrig und untersetzt; er hatte große, ruhige, gute Augen. Der Bär Makar war noch jung und, wie alle jungen Tiere, tolpatschig und verspielt. Er trieb allerhand Unfug: er zernagte die Netze und Felle oder leckte das Pulver vom Tisch. Wenn Demid ihn für solche Missetaten strafte, wälzte sich der Bär auf dem Rücken, verdrehte die Augen und jammerte kläglich. Lag Demid aber auf seinem Lager, kam Makar an ihn heran, legte seine schweren Tatzen auf Demids Brust und beschnupperte ihn freundschaftlich. Dann kraulte der Bursch den Bären hinter den Ohren, und zwischen Mensch und Tier bestand ein liebevolles Einverständnis, dessen einziger Zeuge die schweigende Taiga war.

Demid heiratete Marina und brachte sie in sein Haus...

Das war um die Zeit der weißen Nächte. Am Tage schien die Sonne aus einem heiteren, blauen Himmel, der so durchsichtig war, als ob er, gar nicht vorhanden, sich in einen blassen Dunst auflöste. Überall sprossen saftige Gräser hervor, so eilig, als ob sie es nicht erwarten könnten, den kurzen Sommer zu begrüßen.

Marina lebte im Zimmer des Bären Makar, nachdem dieser zu Demid übergesiedelt war.

Der Bär hatte Marina unfreundlich empfangen. Als er sie das erstemal sah, knurrte er, fletschte die Zähne und schlug mit der Tatze nach ihr. Dafür wurde er natürlich bestraft. Er schien sein Unrecht einzusehen und begann sich langsam mit Marina anzufreunden.

So vergingen die sommerlichen Tage und Nächte. Nachts lag tiefe Stille über der Taiga; nur Uhus und Marder kreischten. Am Morgen aber stieg die Sonne am östlichen Himmel empor und verwandelte dessen nächtliches Blau in brennendes Rot.

Der Sommer neigte sich dem Ende zu.

Im September fiel Schnee. Die rasch hereinbrechende Kälte legte eine dicke, bläulich schimmernde Eiskruste über den Fluß. Wieder röhrten in den Nächten die Elche — so laut, daß die Wände erzitterten.

Marina erwartete ein Kind... In einer Nacht setzte sie sich in ihrem Bett auf. Sie hatte Kopfschmerzen und ihr war übel. Am Boden zu ihren Füßen lag der Bär Makar. Er war wach und blickte Marina an. Seine Augen leuchteten mit grünlichem Feuer. Marina erhob sich von ihrem Lager und ging zu dem schlafenden Demid. Sie umschlang seinen Kopf und preßte ihn an sich. Langsam näherte Makar sich dem Ehepaar, seufzte auf und legte seine Tatzen auf das Bett. Mit der freien Hand packte ihn Demid am Genick und sagte, ihn liebevoll streichelnd: ,',Ja, so ist das, Makar. Begreifst du das?“ Und zu Marina: „Was glaubst du? Versteht er unsere Liebe?“

Der Bär leckte Demids Hand und legte, als ob er die Worte seines Herrn begriffen hätte, seinen Kopf auf die Tatzen., . .

An diesem Morgen blieb Demid zu Hause.

Es wurde Winter; ein schneereicher Winter. Die Sonne, bleich und kraftlos, zeigte sich nur für drei Stunden und schien unendlich weit und irgendwie fremd. Die übrige Zeit war Nacht. Das Nordlicht flammte. Der Frost klirrte, und die Stille der Taiga war so tief, daß sie der Stille des Todes glich...

Marina, schon schwerfällig geworden, verrichtete ihre gewohnte Hausarbeit: Sie heizte den Ofen, kochte das Mittagessen, räumte die Hütte auf.

Wenn Demid, mit Gewehr und finnischem Messer bewaffnet, auf Schneeschuhen in die Taiga jagen ging, stand der runde Mond noch im Südwesten. Demid lauerte Elchen und Wölfen auf und ging zum Fluß hinunter, wo er die Biber beobachtete und an eisfreien Stellen Fische fing. Abends dann schnitt er diese und das erlegte Wild in Stücke und hängte sie zum Einfrieren auf den Hof, nachdem er dem Bären zuvor ab und zu einen Happen hingeworfen hatte. Darauf wusch er sich und setzte sich, zufrieden lächelnd, neben seine Frau. Der Bär kam heran und legte sich ihm zu Füßen.

Makar war inzwischen ein erwachsener Bär geworden; er hatte einen breiten Schädel bekommen, seine Gestalt war plump geworden und seine Augen hatten einen gutmütigernsten Blick. Behaglich hingestreckt lag er jetzt da, und die beiden Menschen mit dem ihnen anhänglichen Tier boten ein Bild des Friedens und ungestörten Glücks...

Im Frühjahr, als die Taiga erwachte, der Strom reißend wurde, der Wald voll neuerwachten Lebens rauschte und die Mädchen wieder am Abhang sangen, brachte Marina ihr Kind zur Welt. Als sie zu sich kam, war es schon Abend. Neben ihrem Bett stand der Bär und blickte sie mit seinen gutmütig-düsteren Augen ernst an.

Demid kehrte aus dem Wald zurück. Er versorgte Marina, wusch das Kind und reichte es dann der Mutter, deren Augen strahlten... In ihren Armen lag ein kleiner Mensch — ihr Kind ...

In dieser Nacht brach der Bär die Hüttentür auf und verließ das Haus. Er verschwand für immer in der Taiga, um sich eine Gefährtin zu suchen. Am Horizont lag ein kaum erst wahrnehmbarer Streifen der kommenden Morgenröte. Irgendwo in der Ferne hörte man den Gesang der Mädchen.

Aus dem Russischen übersetzt vom O. BucUhotz

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