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Maecenas

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Es muß immerhin eine ganz besondere Leistung gewesen sein, auch damals, vor fast 2000 Jahren, die der berühmte und als namengebender Stammvater aller späteren Kunstförderer anzusehende Cil-nius Maecenas vollbracht hat. Denn, wie wäre es sonst verständlich, daß nach ihm bis auf den heutigen Tag Menschen

— mit mehr oder weniger Recht — sich Mäzene nennen oder so genannt werden? Oder vielleicht nur mehr in den Wunschträumen der Künstler lebendig sind? — Ja, Cilnius Maecenas, anscheinend ein Mann, dem seine königlichen etruskischen Ahnen und die Kontinuität eines von Generationen her gewohnten Wohlstandes nicht unfähig gemacht haben, sich für die schönen Künste und für jene Menschen, welche diese Künste ausüben, zu interessieren. Mehr als das: denn, wie erzählt wird, soll Maecenas seinem Interesse praktischen Ausdruck verliehen haben. Er fühlte sich anscheinend nicht sehr wohlig berührt durch den Gegensatz seiner und der Lebensführung der ihm nahestehenden Dichter. Er genoß diesen Gegensatz keineswegs als unabänderliche Tatsache, daß kunstschaffende Menschen arm sein müssen, sondern empfand diesen Zustand als peinlich und befreite sich von solchem Unbehagen dadurch, daß er ihnen jenen Wohlstand zukommen ließ, der einen freundschaftlichen Verkehr mit ihnen nicht an materiellen Gegensätzen scheitern, ließ. Also — er war anders, der verehrte und ehrwürdige Maecenas, als viele seiner Nachfahren, die beim Anblick eines nicht gerade wohlhabenden Künstlers ihr Haupt abwenden: „Werft ihn raus, er bricht mir 's Herz...“ — Nein, Cilnius Maecenas muß schon ein ganz besonderer Mensch gewesen sein, und wenn man davon ausgeht, daß jedes Volk gerade denjenigen — sei es durch Uberlieferung oder sonstige Denkmäler

— zu besonderem Ruhm verhilft, welcher etwas Außergewöhnliches, also etwas, das außerhalb des Gewohnten steht, geleistet hat, so kann man fast sagten, daß Maecenas etwas tat, was sichtlich, im Gegensatz zu dem üblichen Tun stand. Denn wäre solche Kunstförderung so alltäglich gewesen und gebräuchlich, so spräche man heute wohl kaum von Mäzenen, sondern er, der UrMäzen, Maecenas, wäre bloß einer von vielen gewesen, die das getan haben, was sich eben normalerweise gehörte. Einer von den namenlosen, braven Mensehen, die den Sitten und Gebräuchen ihres Volkes und ihrer Zeit entsprachen und daher nicht auffielen. Nein, dieser alte Abkömmling eines sicherlich leicht degenerierten, aber dafür sehr kultivierten Hauses, scheint sich eher den Luxus erlaubt zu haben, das zu tun, was ihm paßte, und sich weniger um das allgemein übliche gekümmert zu haben. Also war er ein außer-gewöhnlicher Mensch.

Wir dürfen auch annehmen, daß er jene Wesenseigenschaft des echten Mäzens besaß, nämlich den Spürsinn, die Witterung dafür, was seiner Hingabe, seiner Freundschaft, seiner Bewunderung und Förderung wert und würdig sei. Gewiß wäre Cilnius Maecenas heute ein Unbekannter und nicht Namengeber für seine geistigen Nachkommen, wenn er nicht das Glück gehabt hätte, die Qualitäten eines Vergil und eines Horaz erkannt zu haben. Denn hier liegt wohl der wesentliche Grund seiner — fast könnte man sagen — Unsterblichkeit: der noble Dank der beiden Dichter dem noblen Kunstförderer gegenüber bestand darin, daß sie ihn an ihrem Ruhm teilnehmen ließen, wie er sie teilnehmen ließ an. seinem Wohlstand. Er sorgte für das zeitliche Wohlergehen, sie sorgten für das ehrenvolle Nachleben. Mag sein, daß solcher Ehrgeiz einem Manne wie Maecenas fremd war — aber es trifft der gerechte Lohn auch solche Menschen, die keinen Lohn fordern. Hier dürfte eine wesentliche Eigenart des echten Mäzens zu erkennen sein: er fühlt sich nicht als Wohltäter ... Also ist unechtes und mißratenes Mäzenatentum jenes, welches sich brüstet, wohltätig zu sein.

Sicherlich — Maecenas hatte auch das, was man Glück nennt: nicht nur daß ihm anscheinend sein sehr reger und fein organisierter Kunstverstand gerade die Bekanntschaft solcher geistiger Größen seiner Zeit zutrug, sondern es handelte sich bei diesen beiden großen Dichtern auch um Menschen, deren Charaktere ihren Fähigkeiten entsprachen — im Gegensatz zu jenen nicht selten auftretenden Fällen, bei denen künstlerische Begabung keineswegs ident ist mit menschlicher Anständigkeit, wo anscheinend durch die schöpferische Arbeit zuviel Kraft verausgabt wird, so daß zu wenig Kraft übrigbleibt für menschlichen Anstand. Denn die Überlieferung berichtet, daß Vergil, dieser große Sohn kleiner Leute, mit Maecenas befreundet und, von diesem beim Hofe des Augustus eingeführt, keineswegs ängstlich bedacht war, seine Beziehungen und Protektionen für sich selbst zu bewahren, sondern seinen Kollegen Horaz dran teilhaben ließ und ihn Maecenas empfahl. Und so war zu all dem Schönen und Erbaulichen solcher kunstbeseelter Freundschaft auch noch diese Sauberkeit der Gesinnung gekommen. Eine anima Candida, eine reine Seele, nennt Horaz seinen Freund und neidlosen Kollegen Vergil. Solch seltene Menschlichkeit und Kameradschaft mag dazu beigetragen haben, daß Maecenas kein enttäuschter Mäzen wurde. Und was tat er, um seine Fähigkeiten denen der beiden Dichter entsprechend zu koordinieren? Er scheint sich keineswegs seiner künstlerischen Freunde geschämt zu haben, sondern vielmehr diese bei Höfe eingeführt und sich ihrer mit ehrlicher Freude und einem berechtigten Stolz gerühmt zu haben. Und weltfremd war er scheinbar auch nicht, der Cilnius Maecenas, wie es nicht selten Menschen sind, die im Wohlstand aufwachsen, nicht wissend, was das Gegenteil bedeutet... Jenes so berühmte Landgut in den Sabinerbergen, das er Horaz schenkte, bedeutete nicht nur für den Dichter, sondern auch für die Welt, der er seine Dichtungen schenkte, viel. Gewiß, er wird auch seine Schwächen und Fehler gehabt haben, der gute Cilnius Maecenas, sicherlich. Vielleicht war er sogar eitel, rühmte sich seiner erfolgreichen Dichterfreunde — aber o\a ß er sich solcher Freunde und nicht etwa der Freundschaft mit irgendeinem erfolgreichen Sportler rühmte, nicht auf seinen Besitz an Gütern stolz war, sondern von diesen hergab, um seinen Teil zu haben an den geistigen Schöpfungen seiner Zeit, das allein schon gibt ihm Wert und Bedeutung.

Es ist nicht überliefert, ob und wieweit Maecenas manchmal mit seinen Dichterfreunden uneins war, ob diese schöne Gemeinschaft nicht manchmal Trübungen erfuhr — mag sein, daß dies der Fall war. Das wäre nur menschlich, und daher möglich. Aber anscheinend verlangte er nicht, was nur ein dilettanr tischer Mäzen von seinen Schützlingen verlangt: Dank. Dank verlangt der Wohltäter, und zwar der sehr durchschnittliche Wohltäter.

Solches Mäzenatentum ist heute selten geworden. Das echte und wohl auch das unechte. Als wäre es bloß eine Erinnerung, eine historische Reminiszenz. Oder ist es unrecht, so zu sprechen? Leben, unauffällig und den Zeitläuften angepaßt, echte, kunstbegeisterte Mäzene nicht doch auch noch heute unter uns? Opferwillige, namenlose und der geringen Stellung, welche eine kunstschöpferische Tätigkeit in unserem tristen Wirtschaftsleben innehat, entsprechend nur geringen Vermögens, im Sinne des Könnens, aber mit aufnahmsbereiten Herzen und echter Begeisterung? Oder erstirbt im Lärm des grauen Alltags und des entseelten Feiertages, solche Flamme? Zertritt der plumpe Stiefel des tüchtigen Mannes von heute“ die Glut — der harte Stiefel des desillusionierten, des nüchternen, des kunstfremden, des kunstverachtenden Marines der rechnerischen Begabung? Hat Cilnius Maecenas seine Nachkommenschaft verloren und sein edles Wirken ärmlicher Wohltätigkeit oder beamteter Fürsorge überlassen? Tritt an seine Stelle eine Kartothek, ein Fragebogen?

Doch allzuleicht ist es, in der Dunkelheit das Dunkle zu beschreiben. Allzuleicht erreicht solche Schwarzseherei nur widerwillige Wohltat der beschämten Nutznießer der Dunkelheit. Solche Wohltätigkeit hat aber mit der Achtung vor dem Schöpferischen nichts zu tun. Bestenfalls ist sie ein kleines Zeichen verborgener Erinnerung an vergangene Zeiten. Und dennoch: diese Liebe zum Künstlerischen, diese verehrende Liebe, dieses Mitteilhaben an der Begnadung des musischen Menschen, dieses dienende Geben — um zu empfangen —, diese reine Wesenheit des echten Mäzens, d i e stirbt nicht, solange der Mensch lebt, solange, wenn auch mißachtet, mißbraucht und als “.nzeitgemäß empfunden, das Kunstschöpferische im Menschen noch nicht erloschen ist. Und könnte solche schöpferische Gabe erlöschen? — Dann erlischt auch der Mensch — und übrig bleibt das Tier. Das apokalyptische Tier...

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