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NACHTRAG ZU EINEM GESPRÄCH

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Vielleicht war das Cafe Raimund der Anlaß (ein abendlich leeres im Gegensatz zu dem rauchig vollen damaliger Nachmittage), daß das Gespäch auf die fünfziger Jahre kam, auf die Arbeiten damals junger Autoren. Ich versuchte zu erklären, warum viele (wie ich) gutgemeinten, schwerfälligen Realismus schrieben. Weniger weil etwa Hemingway oder Steinbeck, der oder jener andere Amerikaner in Europa Mode machten (in Österreich dies nur bedingt), wir „erfanden“ den schlichten, meist geradlinig ablaufenden Handlungsroman zum tausendsten bis x-ten Mal auch nicht, um spornstreichs in die Unterhaltungsbranche zu desertieren (jedenfalls nicht viele — und denen ist’s eher passiert, als daß sie es auf Grund listiger Kalkulationen unternommen hätten). Die Ursache ist so simpel wie naiv: um Erlebnisse abzureagieren (die potentielle Leserwelt tat es durch behende Flucht in neuabendländische Klischees), bieder und brave Botschaften anzubringen: um Krieg, Gefangenschaft, Haft, Hitler-Jugend und anderes darzustellen. Borchert tat ähnliches, aber er bemühte dazu zwischen Rilke und den Expressionisten alles mögliche. Bei uns wurde das erzählerische Vehikel (in der Lyrik waren die Konstellationen zunächst etwas günstiger) einige dutzendmal nicht gerade glanzvoll neu erfunden. Ilse Aichinger ist schon 47, 48 eine Ausnahme gewesen. Die Kafkaiden kamen später, sie intonierten hierorts wenig überzeugend.

Warum ich das aufschreibe? Gewiß nicht, um unsere Anfänge zu denunzieren. Naive Ausgangsstellungen haben ä la longue auch einige späte Vorteile, und seien es nur die, mit etlichen der im literarischen Felde verstreuten Fußangeln und Fallgruben innigere Bekanntschaft gemacht zu haben. Die damit zwangsweise verbundene Geländeerkundung und die bei Schriftstellern besonders häufige hartnäckig aufsäs-

sige österreichische Langsamkeit taten ein übriges, um die formalen Kategorien, Möglichkeiten und Erfordernisse (vor allem diese!) bestimmend und ausschlaggebend zu machen. Binsenwahrheit, gewiß. Die Literaturmoden, die in Europa grassieren, sind damit nicht gemeint, der Nouveau-Roman hat unter Österreichs Autoren auch heute noch wenige Leser, und „Der Schatten des Körpers des Kutschers“ ist manchem nicht einmal dem Titel nach bekannt. Auch wenn man nicht glaubt, daß damit eine neue Epoche des Erzählens in deutscher Sprache begonnen habe, sollte man doch diese Prosa als Prosa-Autor gelesen haben.

Doch das ist es ja nicht, was ich dem Gespräch im Cafe Raimund nachtragen wollte: es ist einfach und lapidar die Feststellung, daß ich um meinetwillen und etlicher vertaner (verschriebener) Zeit wegen bedaure, Doderers Romane zunächst vor allem mit der Freude an Details, Skurrilitäten usw. gelesen zu haben und kurioserweise nicht sofort die Machart in ihrer ganzen Bedeutung für jede Beschäftigung mit dem Erzählen mit Fingern gegriffen zu haben.’ Hier liegen doch die Dinge, die dafür wichtig sind, in Praxis und Theorie parat (und in welch imponierender Verquickung!). Nicht als Anweisung für eventuelle Doderer-Schüler, sondern als Kompendium für sich’s überlegende (um nicht einfach denkende zu sagen) Prosaschreiber. Und wo findet man ein so naheliegendes Logbuch eines literarischen Lebens wie die „Tangenten“! Doderer ist kein Thesenlehrer, zum Glück kein Vorbild und kein literarischer Modeschöpfer, aber dafür ein Autor, von dem man lernen kann, was ein Autor ist, der erzählen will und weiß, was er dabei tut, zu tun und zu lassen hat. Dies möchte ich zum 5. September, dankbar und in aller Deutlichkeit dem Gespräch hinzugefügt haben.

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