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Zurück ins Leben

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Bei der letzten Wiener Budgetdebatte berührte Vizebürgermeister Weinberger ah Amtsführender Stadtrat für das Gesundheitswesen unter anderem auch das Problem der Kinder- und Jugendlichenerziehung in den städtischen Heimen. Wir geben aus seinen Ausführungen die nachfolgenden Gedanken wieder. Die „Furche“

Am 31. Oktober 1957 befanden sich in den 16 Wiener städtischen Erziehungsheimen 2295 Kinder und Jugendliche. Ihr Erziehungsnotstand spiegelt sich erschütternd in dem untenstehenden Familienbild:

Die Zahlen bedürfen keines Kommentars. Sie sprechen für sich. Wir dürfen es aber bei dieser Diagnose nicht bewenden lassen, sondern müssen uns auch Gedanken darüber machen, wie die Erziehungsfehler, die an diesen jungen Menschen begangen worden sind, wieder gutgemacht und ihre Folgen, soweit das möglich ist, behoben werden können.

Was diesen Zöglingen, ja der heutigen Jugend überhaupt, in erster Linie not tut, ist die, Erzie-

\mefPhAa eÄiÄ&-P n.n.g de r. Autor i-fcät der Eltern, Lehrer und Erzieher. Ohne diese Autorität ist ein Leben in einer geordneten Gemeinschaft überhaupt nicht denkbar. Es kann nicht immer alles nach den Wünschen der Kinder gehen, sondern sie müssen früh daran gewöhnt werden, die Rechte der Mitmenschen zu achten und sich gegebenenfalls unterzuordnen. Im gegenteiligen Falle werden bloß herrschsüchtige Ichmenschen herangezogen, die später einmal höchst unglücklich oder kriminell werden.

Es wird also keinesfalls schaden, wenn wir unsere Kinder genau so wie in der Familie auch in den Anstalten einmal etwas strenger halten, sie auch einmal härter anfassen, ihnen gelegentlich auch etwas versagen.

, Gerade in letzterer Hinsicht wird in der Erziehung unserer Kinder viel gesündigt. So ht zum Beispiel für die heutigen Kinder und Jugendlichen Bescheidenheit vielfach überhaupt ein unbekannter Begriff, und die Ansprüche, die sie in Kleidung, Nahrung und Unterhaltung als getreue Spiegelbilder ihrer Eltern stellen und leider auch nur zu oft erfüllt bekommen, sind vom erzieherischen Standpunkt geradezu bedenklich. Abgesehen davon, daß durch diese Uebersättigung in jeder Hinsicht den Kindern die für den normalen Ablauf ihier Entwicklung so notwendige Möglichkeit des si-.h richtig Freuenkönnens genommen wird, werden sie schon von frühester Kindheit an zu blasierten Menschen erzogen, denen man überhaupt mit nichts mehr nahekommen kann und die äußerst schwer gefühlsmäßig ansprechbar sind.

Nicht nur, daß man sich damit des wichtigen Erziehungsmittels der „Belohnung“ begibt, wird der junge Mensch auch später nur Ansprüche an das Leben stellen, ohne dafür auch die entsprechende Gegenleistung zu erbringen. Bei charakterschwachen Individuen sind in dieser anerzogenen Unbescheidenheit sehr oft die Voraussetzungen für ein Abgleiten ins Kriminelle gegeben. So war diese Unbescheidenheit mit eine der Ursachen, die zu den fünf letzten von Jugendlichen begangenen schweren Verbrechen geführt hat. Besonders bedauerlich, aber auch alarmierend für die gegenwärtige Situation der Anstaltserziehung ist es, daß gerade die drei Mörder unter ihnen einstmalige Zöglinge unserer Anstalten waren.

Zur mangelnden Anerkennung der Autorität und der in weiten Kreisen abhanden gekommenen Bescheidenheit kommt noch das so vielen

fremd gewordene Verantwortungsbewußtsein. Würde diesen drei angeführten Grundsätzen in der Erziehung unserer Kinder die Bedeutung zugebilligt werden, d:e ihnen für die Persönlichkeitsgestaltung (von Natur aus zukommt, müßten wir uns weniger Sorgen machen um das „Halbstarkenproblem“, die vielen zerrütteten Ehen und die zerstörten Familien; aber ebenso auch nicht um die vielen unliebsamen Auffälligkeiten und besonderen Schwierigkeiten der aus diesen Ehen stammenden Kinder und Jugendlichen.

In einer gesunden Heimsituation sollen die Kinder je nach ihren Schwierigkeiten, Auffälligkeiten und geistigen und körperlichen Fähigkeiten gesondert geführt, eventuell sogar nach ihrem Verhalten und ihrer Einordnungsbereitschaft in entsprechende Gruppen eingeordnet werden, um sie durch Steigerung der durch ihre

gesamte Führung erworbenen Freiheiten allmählich für ihr späteres Leben vorzubereiten.

Leider sind die Erziehungsheime der Stadt Wien größtenteils alte Bauwerke, die früher einmal ganz anderen Zwecken gedient haben. Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, ein richtiges, zweckentsprechendes, modernes Erziehungsheim mit den unbedingt nötigen Spiel-, Sport- und Auslaufmöglichkeiten neu zu bauen. Auch Gesellen- und Gesellinnenheime für die austretenden Zöglinge müssen geschaffen werden.

Für die Einrichtung und Ausstattung der Erziehungsanstalten, die vielfach veraltet ist, müßten größere Beträge als bisher bereitgestellt werden.

Brennend wird allmählich das Problem des Nachwuchses von ausgebildeten Erziehern. Der Mangel ist heute schon so groß, daß immer wieder Aushilfskräfte herangezogen werden müssen.

Schließlich wären noch für eine erfolgversprechende Anstaltserziehung alle mit der Erziehung der Kinder und Jugendlichen betrauten Amtsstellen und Heime (private und städtische) weitgehend zu koordinieren, um die einzelnen Anstalten in richtiger Form spezialisieren zu können.

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