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Zahme Bettleroper
Eine Premiere an der Komischen Oper Ost-Berlins wird immer als Ereignis empfunden, auch wenn die Aufführung die hochgespannten Erwartungen gründlich enttäuscht. So war es bei Gay-Brittens „Bettleroper”, inszeniert von Horst Bonnet. Man freute sich auf eine bissige Satire, Hogarth-Karikaturen über der Bühne steigerten die Bereitschaft zu witziger Aggression, und dann kamen behäbigbreite, sehr saubere Bilder und Bürger, niederländisch-derb, biedere Hampelmänner eher als schneidende Karikaturen.
Mehr als eine halbe Stunde dauerte es, bis man zum ersten Male eine Parodie spürte: Puccini (in der Instrumentation), später dann noch einmal Händel oder Bach (Passionschöre). Wo sollte hier auch die Parodie herkommen ? Es gibt heute keinen einheitlichen Opernstil, den man verspotten könnte (so wie es Pepusch und Gay mit der italienischen Oper machten); und so witzig, ihr eigenes Musiktheater aufs Korn zu nehmen, waren die Felsensteiner nicht.
Nun hätte man außer der Musik, neben dem Spiel, ja auch noch den Text würzen können (so wie Brecht es für die zwanziger Jahre tat). Der einzige, spontane Jubel des Publikums zeigte sehr deutlich, wie man das hätte anpacken können. Da sprach der Erklärer vom „positiven Helden”, einer vertrauten (und quälenden) Erscheinung für jeden östlichen Theatergänger, verglich ihn mit Macheath (dem Macky Messer) : und schon war der Kontakt zum Zuschauer gefunden. Die Satire braucht Gegenwart! Aber wie sollte man die eigene Gegenwart persiflieren können?
Höchstens unfreiwillig geschah es: während John Gay mit seinem Stück für die Volkssprache gegen das Italienisch der Oper agitierte, wurde in Ost-Berlin das Ehepaar Peachum von Ausländern gespielt, exzellenten Schauspielern und Sängern, in ihrem Deutsch aber nicht immer verständlich.
Also mußte man sich mit den guten Stimmen trösten, einem sauber spielenden Orchester, Brittens kluger und federnder Instrumentation, schließlich einem perfekten äußeren Ablauf — wenn auch ohne Gewicht und von vollendeter Harmlosigkeit.
Zu einem Hochhüthchen brachte es die Kleine Bühne des Schillertheaters. Es heißt „Brian Gear”, fcommt aus England, behauptet, es gehe ihm mehr um Menschen als um Anschauungen, entdeckte aber, in direktem Widerspruch dazu, den „Katholizismus (und’nicht das Tun eines Katholiken!) als Beispiel für Zwang und absolute üntoleranfcft ‘‘Ansonsten veraät das Stück eine gediegene Unkenntnis dieser Religion (der Religion wohl überhaupt), Ahnungslosigkeit in bezug auf Erziehung (um die Erziehung eines Halbwüchsigen geht ei) sowie beachtliche Fähigkeiten, Menschen durch Dialog darzustellen.
Die Reaktion des Publikums entsprach dem bescheidenen Anlaß: ein wenig Pfiffe, ein wenig Beifall.
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