Kaspar.jp - © Foto: © Susanne Hassler-Smith

„Kaspar“ im Akademietheater: Überbordende Bilderfolterung

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Mit Musik, opulenten Bildern und Sprachgewalt sowie einem wilden Mix aus popkulturellen Referenzen und einem intensiven körperbetonten Spiel überzeugt Peter Handkes „Kaspar“ in der Regie von Daniel Kramer im Akademietheater.

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Mit Musik, opulenten Bildern und Sprachgewalt sowie einem wilden Mix aus popkulturellen Referenzen und einem intensiven körperbetonten Spiel überzeugt Peter Handkes „Kaspar“ in der Regie von Daniel Kramer im Akademietheater.

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Als „Rockoper mit grellen Effekten“ hat sich Peter Handke seinen „Kaspar“ vorgestellt. Und genau das bekommen die Zuschauer des Akademietheaters in der Inszenierung Daniel Kramers auch geliefert. Opulent, sinnlich und sinnbefreit schwelgt diese Popelegie in überbordenden Bildern und haucht dem 1968 uraufgeführten Stück ein staunenswertes neues Leben ein.

Handkes „Sprechfolterung“, nah an Beckett, Wiener Gruppe und Wittgenstein gebaut, zeigt, wie Sprache den Menschen formt, der titelgebende Protagonist wird dabei von anonymen Sprechern indoktriniert. „Ich möcht ein solcher werden wie einmal ein andrer gewesen ist“, lautet der zentrale Satz Kaspars, mit dem Handke an das spektakuläre Auftauchen der historischen Kaspar-Hauser-Figur in Nürnberg des Jahres 1828 erinnert.

Über Einsager zur Sprache

Marcel Heupermans erster Auftritt beeindruckt um nichts weniger. Als pelziges Etwas gleitet er von der Bühnendecke einen Plastikgeburtskanal entlang und stößt grunzend, stockend und keuchend ebendiesen Satz hervor. Sogleich eilen die vier „Einsager“ (Laura Balzer, Stefanie Dvorak, Jonas Hackmann und Markus Scheumann) im schnittigen Golfwagerl herbei. In militanten Latexuniformen und Latexmasken, ausgestattet mit Kettensägen, schneiden sie Heuperman aus seinem spinnenartigen Kostüm. Freuds Phasen der kindlichen Entwicklung geben den Rhythmus der folgenden Szenen vor, in deren Verlauf der junge Kaspar in weitere schräg-schrille Verkleidungen ‒ vom blauen Babykleidchen mit übergroßem Babykopf bis hin zum silbernen Knickerbockeranzug ‒ gezwängt wird.

Vor einem Jahr hatte Kramer schon mit seinem Team (Kostümbildner Shalva Nikvashvili, Choreografin Pandora Nox, Bühnenbild Annette Murschetz und Musik Tei Blow) Tony Kushners „Engel in Amerika“ zur modernen Trashoper umfunktioniert. Auch dieser „Kaspar“ ist ein wilder Mix aus popkulturellen Referenzen und einem intensiven körperbetonten Spiel. Kramer nimmt den Text streckenweise ganz wörtlich, überlässt ihn dann wieder der freien Assoziation und unterlegt beziehungsweise trennt die Szenen mit Musik von Metallica bis Mozart. Höhepunkt ist aber der wortlose Mittelteil des Abends, der an Franz Xaver Kroetzʼ „Wunschkonzert“, eine kurze Geschichte über Einsamkeit und Aussichtslosigkeit, erinnert. Kramer lässt dieses Stück im Zeitraffer ablaufen, so entsteht eine grandios choreografierte und vom Ensemble wunderbar umgesetzte Theaterminiatur. Darin ziehen fünf Kaspars nacheinander in eine vollausgestattete Einzimmerwohnung, um als stiller Chor im Kanon die immer gleichen Routinen des Anziehens, Ausziehens, Duschens, Essens, Fernsehens etc. zu verrichten, bis Heuperman mit einem Gewehr in der Hand das Setting verlässt, während die vier Verbliebenen, zugedröhnt mit Tabletten, zuckend auf dem Bett verenden.

Von da an ist es vollbracht: Kaspar hat sich der Sprache bemächtigt und der Macht der Sprache untergeordnet. „Ich möchte jetzt kein anderer mehr sein“, ist auf der verdunkelten Bühne zu lesen, bevor das mörderische Finale eingeläutet wird. Vier Clowns in fantastischen Glitzerkostümen mit Luftballons sowie Messern bewaffnet, deren Formensprache Oskar Schlemmers Figurenballett entliehen zu sein scheint, und Heuperman als grinsender Joker im schwarzen Ballkleid, der blutverschmiert vorm Bühnenvorhang steht, üben die totale Zerstörung. Das Ende gibt Rätsel auf, laut Handke sollte Kaspar ja eigentlich kein Spaßmacher sein, oder doch? Es folgt Kaspars Zusammenbruch. Neben einer blinkenden Atombombe spricht Heuperman den Schlussmonolog, der mit den Worten „Ziegen und Affen“ endet, mit denen bereits Shakespeares Othello seine Resignation ausdrückte.

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