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„Pelleas und Melisande” in Graz

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Im letzten Jahr seiner langen Tätigkeit als Intendant der Grazer Bühnen wartet André Diehl seinem Publikum mit ausgesprochenen Kostbarkeiten auf. Nach Glucks „Iphigenie auf Tauris” und Rossinis selten gespielter „Italienerin in Algier” brachte er nun zum erstenmal Debussys traumhafte Legende von „Pelleas und Milisande” auf die Bühne der Grazer Oper. Es war ein Wagnis, zu dem beachtlicher Mut gehört, wenn man bedenkt, daß einerseits der übergroße Schatten von Karajans Wiener Inszenierung nicht ohne weiters wegzuwischen ist, und anderseits die Zahl der wirklich Interessierten in Graz nicht die Gewähr dafür bietet, das große Haus auch nur einmal zu füllen. Das Risiko war somit groß, denn die Frage, ob man den an sich sehr opernfreudigen Grazern die symbolistische Märchenwelt Maeterlincks, die Handlungsarmut der 13 Szenen und die lange Dauer der arienlosen Oper, die allen vordergründigen Effekten ausweicht, auch schmackhaft machen könne — diese Frage konnte erst nach der Premiere beantwortet werden. Mit einem Achtungserfolg hatten die Initiatoren der Aufführung wohl gerechnet; daß der begeisterte Beifall des vollen Hauses nach der Premiere zumindest die Ausmaße eines ansonsten bei Verdi üblichen Jubels annahm, dürfte wohl auch für sie eine Überraschung gewesen sein. Dieser volle Erfolg bei Publikum und Presse ist dem Umstand zuzuschreiben. daß vom Dirigenten bis zum letzten Musiker, vom Regisseur bis zum letzten Choristen, das ganze Ensemble sich mit größtem Idealismus dem Dienst an diesem Werk ergeben hatte.

In bewundernswerter Weise hat Beris- lav Klobucar den Stil dieser Musik getroffen: die subtilen Klangfarben der nuancenreichen Partitur, ihre magischen Reize erstanden in großer Klarheit und oft berückendem Wohllaut, ohne daß die Singstimmen „zugedeckt” wurden. Die Dekorationen Wolfram Skalickis sind ein Meisterstück: die ineinanderfließenden Bilder sind nicht sosehr dem Symbolismus verhaftet, sondern eher in ein Reich transponiert, in dem Surrealismus und Romantik eine Verbindung voll hintergründiger Atmosphäre eingehen: eine Märchenwelt moderner Observanz, in der Verschwommenheit durch klarere Konturen ersetzt ist. Solche Klarheit drückt sich auch in André Diehls Führung der Figuren aus. Der französisch gesungene Text weist allerdings mannigfache Akzentschattierungen auf, der spezifische Duktus psalmodierender Rezitation jedoch wurde von allen Darstellern vorbildlich getroffen. Das Niveau der sängerischen Leistungen war beachtlich; besonders hervorzuheben sind die anmutige Valory Goodall (Mélisande), Rudolf Constantin (Golaud), José M. Perez (Pelléas) und Kunikazu Ohashi (Arkel). Eine große Anstrengung fand ihren verdienten Lohn: die denkwürdige Aufführung wurde zu einem Höhepunkt in der Geschichte der Grazer Oper.

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