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Glanz des Virtuosen

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Das international erfolgreiche Wiener Ensemble für Alte Musik, Mw- sica Antiqua, feiert heuer sein zehnjähriges Bestandsjubiläum: Grund genug, die an Konzerten, Tourneen (nach Mailand, Rom, Warschau, in die UdSSR), zukunftsträchtigen Plänen reiche Jubiläumssaison 1969 1970 mit einem Galakonzert geistlicher Musik in Sankt Stephan zu eröffnen; mit einem Programm, in dem erstmals Raritäten sogenannter „mehrchöriger“ Kompositionen in originaler Besetzung präsentiert wurden. Das heißt, da wurden Stücke gespielt, in denen räumliche Gliederung, die Aufstellung verschiedener Vokal- und Instrumentalgruppen (voneinander getrennt) als kompositorisches Mittel eingesetzt sind. Die verschiedenen „Chöre“ sind, ähnlich wie manchmal in der Neuen Musik, selbständige Körper, die mit- und gegeneinander musizieren. Besonders ausgesprägt ist diese Mehrchörigkeit in den Werken des jüngeren Gabrieli, der sein „Gloria“, die „Canzone a 12“ wie die Motette „In excelsiis bene- dicte Domino“ für die Galerien von San Marco in Venedig schuf, quasi Stereomusik von Anno 1600. Tn Sankt Stephan führten die Instru- mentalisten der Musica Antiqua, diesmal mit komplettem Violen-, Blockflöten-, Pommern- und Posaunenquartetten (mit Zink) vertreten, gemeinsam mit dem Wiener Motettenchor und repräsentativem Solistenaufgebot unter Bernhard Klebel neun große Werke des 16. Jahrhunderts auf. Darunter das imposante „Factor orbis“ (von Obrecht), eine der späten, teils viel-, teils einstimmigen Pi&cen des ausgehenden Mittelalters, Gallus’ pompös auftrumpfendes Tedeum, Orlandos doppel- chöriges „Bone Jesu“ und anderes. Welch ein Kontrast zu Palestrinas „Vergine“-Zyklus, einem der zartesten, feinst nuancierten Madrigale dieses Klassikers der Alten Musik. Alles in allem waren es akkurate, klangschöne Wiedergaben, in den Chören bis ins Detail ausgefeilt, im Zusammenklang homogen, sehr farbig und ausgesprochen delikat. Unter den Gesangssolisten gefielen vor altem die Soprane KntKleen Campbell und Jane Gärtner.

Serge Baudo, der das erste Konzert im Zyklus „Die Große Symphonie” leitete, ist in Wien bisher vor allem als Operndirigent hervorgetreten. Sein Debüt im Musikverein wies ihn erneut als profilierten, sensitiv em-

pfindenden Künstler aus, als einen, der fürs Delikate, für romantische Poesie und spielerische Eleganz das richtige Flair hat Gleichsam licht- durchwoben geriet zu Beginn des Konzertes Gabriel Faurés hierzulande viel zu selten gespielte Suite „Pelléas und Mélisande“ (op. 80), die schimmernde Bühnenmusik zu Maeterlincks symbolistischem Drama, das 1898 in London uraufgeführt wurde. Fauré hat die Fragmente 1901 zu einer Suite zusammengestellt. Die Wiener Symphoniker waren glänzend in Form, füllten die sanft schwellenden Streicberkanti- lenen mit luxuriösem Glanz und Samtigkeih setzen in den Bläserpassagen behutsam Lichtpunkte. — Höhepunkt des Abends war die im- petuose, heroisch-auftrumpfende Wiedergabe von Tschaikowskys „Fünfter“ (op. 64), eine besonders gut ausgewogene, hochdramatisch auf- geladene Aufführung. Josef Sivo spielte Mozarts A-Dur-Violinkon- zert (K. V. 219): etwas nervös, unkonzentriert, zu weich und in den Konturen zu sehr verwischt. Markantere Linien hätten kaum geschadet. Und ein paar Unsicherheiten im Rondo hätte Sivo unbedingt vermeiden müssen.

Im Mittelpunkt des 2. Sonntagvormittagskonzerts der Symphoniker im Sendesaal des ORF (Leitung: Ernst Märzendorfer) stand André Jolivets Concerto pour percussion et orchestre, eine musikalisch zwar nicht gerade überreich ergiebige, aber dank raffinierter technischer Kunststücke in Erstaunen versetzende Bravourpdèce. Hermann Gschwendtner, Solist der Matinee, wechselte da souverän von den Pauken zum Vibraphon, von dort ans Xylophon, dann zu Klapper, Glöckchen, Ratsche und Trommel usw. Er interpretierte die vier knappen, ungeheuer dynamischen Sätze rasant. Eine Virtuosenleistung par excellence. Überdies hörte man Hugo Wolfs symphonische Dichtung „Penthesilea“ in einer klarlinigen, ökonomischen Wiedergabe. Märzendorfer gestaltete das Werk eher zurückhaltend, bevorzugte durchsichtige Klangwirkungen und knappe Steigerungen, ohne daß das Werk an Leidenschaftlichkeit des Ausdrucks verloren hätte. Ebenso überzeugend wirkte Wolfs Vorspiel zu Ibsens „Fest auf Solhaug“, ein Auftragswerk des Burgtheaters aus dem Jahre 1891.

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