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Abbruchhektiker

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Bürgermeister Gratz macht augenblicklich die entmutigende Erfahrung, daß eine gesetzliche Neuregelung genau jene Zustände provozieren kann, zu deren Verhinderung sie geschaffen werden soll. Denn offensichtlich hat gerade die Angst vieler Hausbesitzer beziehungsweise potentieller Häuiserabbrecher, es könnte künftig allzu schwierig, nämlich kostspielig sein, die Mieter von zum Abbruch bestimmten Althäusern loszuwerden, zu einer wahren Hektik des Abbruchs im Wiener Häuserbestand geführt.

Während noch im Jahr 1971 in Wien in nur drei Fällen die Mieter von Objekten wegen deren wirtschaftlicher Abbruchreife vor die Tür gesetzt wurden, stieg die Zahl dieser Verfahren mit dem Bekanntwerden, ja mit ersten Ahnungen geänderter Verhältnisse sprunghaft an. 1972 gab es bereits 33 solche Verfahren, im vergangenen Jahr schon 45, und im Jänner 1974 schnellte ihre Zahl sprunghaft auf zehn in einem Monat, was, auf das ganze Jahr umgelegt, nicht weniger als 120 Fällen entsprechen würde.

Durch die im Wiener Häuserbestand plötzlich grassierende Hinfälligkeit stieg die vor Jahren auf nur noch 16.000 Fälle gesenkte Zahl der Vormerkfälle im Wiener Wohnungsamt zusehends wieder an, zunächst auf 18.000, um mit der jetzigen Welle den alten Stand von 20.000 wieder zu erreichen. Gegenwärtig erscheinen in Wien insgesamt 97 Häuser mit zusammen rund 800 Wohnungen auf Abbruch gesetzt.

Dabei fühlt sich die Stadt Wien Ausbeutungsversuchen (so der zuständige Stadtrat Pfoch) ausgesetzt, wenn Häuser innerhalb weniger Monate mehrmals den Besitzer wechseln und ihren Wert dabei sprunghaft steigern, um schließlich ihr angeboten zu werden (auf der anderen Seite freilich spricht man von Fällen, wo sich die zuständige Magistratsabteilung verkaufswilligen Hausbesitzern gegenüber so langsam und desinteressiert zeigte, daß sie halt doch lieber zum nächsten, schneller reagierenden, sprich zugreifenden „Spekulanten“ gingen). Sei dem, wie immer — man will in derartigen Fällen künftig die Förderung versagen und Wiens Hausbesitzern gegenüber' auch dort härter auftreten, wo es nicht um den Abbruch, sondern um die Erhaltung geht, nämlich um denkmalgeschützte Objekte. In solchen Fällen wurden Instandsetzungsaufträge schon bisher dann erteilt, wenn ein Hausbesitzer dem Auftrag, ein verfallendes, aber geschütztes Objekt Am genau definierten Ausmaß wieder instand zu setzen, nidht nachkam. Die von der Gemeinde beauftragten Firmen jedoch konnten solchen Instandsetzungsaufträgen der Behörde nur dann nachkommen, wenn ihre Ansprüche nicht etwa durch grundbücherJaoh eingetragene Hypotheken gefährdet erschienen. Erstmals will die Gemeinde Wien nun notfalls selbst in die Tasche greifen — spät, sehr späit, aber doch. Das wird so aussehen, daß zur Erhaltung verfallender Objekte, auf deren Erhaltung besonders großer Wert gelegt wird, den Firmen, die den Auftrag, Instanidsetzungsarbei'ten durchzuführen, direkt von der Behörde bekommen, künftig auch die Bezahlung ihrer Rechnung von selbiger garantiert wird, was im Sinne eines effizienten Denkmalschutzes eigentlich schon längst hätte. eine Selbstverständlichkeit sein sollen. Aber hier haben die Mühlen bekanntlich lange Zeit traditionellerweise langsamer gemahlen als der so oft viel schnellere Zahn der Zeit.

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