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Abschied von der Vergangenheit

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Schaper kommt in seinem neuen Roman „Am Abend der Zedt” auf die Probleme zurück, die er schon in seinem ersten großen Prosawerk ^,Der Henker” aufgegriffen hat. Estland — seine zweite Heimat in den Jahren 1930 bis 1940 — ist der eine Schauplatz der Geschehnisse. Die Situation der Baltendeutschen wird an den Schicksalen der letzten eines alten, im russischen Gouvernement Estland ansässigen Geschlechts ins Blickfeld gerückt. Der andere Schauplatz ist Polen, das Gut Wisocko, nahe der preußischen Grenze, und die Garnison Kaiisch, in der der Balte Nikolai Rausch von Traubenberg als russischer Offizner Dienst tut. ,

Es beginnt alles recht harmlos Im Frühling 1913 in Kaliisch. Begegnungen zwischen polnischen Aristokraten ud russischen Offizieren im Club Polski, Sommerfeste und Krebsessen auf den großen russischen Gütern, Manöver, fröhliche .Gelage und unverbindliche Amou-ren. Aber hinter der heiteren Unbeschwertheit des in vollen Zügen genossenen Augenblicks mehren sich die Schatten des großen Umbruchs, der mit dem Ausbruch des ersten Weltkriegs ins Rollen kommt. JJikolai von Traubenberg i^, ediifer der ersten, der sich feeiirie lllusiorien über die Zukunft macht. Durch seine Liebe zu der polnischen Komtesse Zofja Wisocka wh:d er, als nun Beteiligter, in die Leiden ihres von drei fremden Mächten besetzten Landes hineingezogen. Die Liebenden ahnen von Anbeginn, daß ihnen keine .gemeinsame Zukunft beschieden ist. Um so kostbarer ist ihnen ihre Beziehung, von Zartheit, Treue und Verläßlichkeit geprägt. Sie haben einander alles gegeben, als sie am Vorabend des Krieges von Sofjas Vetter Adam Wisodd, einem fanatischen polnischen Patrioten, erschossen werden.

Zuerst aber beschwört Schaper sie noch einmal unvergeßlich herauf, diese schöne und noble Welt der Vorkriegszeit, die heU war für die herrschenden Schichten; er läßt auch die dunklen Seiten nicht aus, am Rande rücäcen die Armen, Unterdrückten des herrschenden Systems ins Bliddeld.

Der Autor erzählt seine bewegende Geschichte in der ihm eigenen Manier, in epischer Breite und Fülle; die Landschaft des Ostens steht lebendig vor dem Leser; in ihrer herben Kargheit AugenbMcäte des Überflusses, die hier mehr zählten als anderswo. Die Charaktere sind prägnant gezeichnet, am liebenswertesten, neben Nikolai und Zofja, deren Väter: charmante, kul-.tivierte Edelleute, soignierte Kavaliere einer unwiederbringüth vergangenen Zedt.

Schaper bedient sich, wie bekannt, eines konservativen Stils, ausgezeichnet durch sicheres Formempfinden, eine klare, anschauliche Sprache, für die Bilder und Symbole mehr als Beiwerk bedeuten. Der geruhsame Rhythmus seiner Erzählweise ist für uns Kinder edner schneUebdgen, unruhigen Zedt zunächst vielleicht eine Herausforderung; aber, wenn man sich an die Langatmigkedt seiner Schilderungen gewöhnt hat, ein kostbares Geschenk. Unversehens hält man selber den Atem an, fühlt sich hineingezogen in jene uns so fremde und ferne Welt, die doch, ob wir es nun mögen oder nicht, eines der Fundamente unserer heutigen Existenz iist. Eben diese Erkenntnis hat mir die Lektüre des neuen Buches von Schaper vermittelt. Ob auch die junge Generation sie nachzuvoU-ziehen vermag, ist eine andere Frage. Für mich war sie wesentlich.

AM ABEND DER ZEIT. Roman. Von Edzard Schaper. Jakob-Hegner-Verlag, Köln, 1970. 435 Seiten, S 168.70.

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