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Alltag an der Uni

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Es war Wahlzeit an der Reformuniversität, also nichts außergewöhnliches und sonderlich aufregendes. Die schmucken Sichtbetonwände waren über und über mit Schriftzeichen bedeckt: teils mittels umweltfreundlicher

Sprühdosen in krakeligen Zügen, teils durch Verpackung in meterlange beschriftete Papierbänder.

Die Sprühdosenprodukte warben markig für „No future" und kündigten den anarchistischen „Gummiteufel" an, wurden aber von der Mehrzahl der Studenten bloß für mäßig originelle Einfälle der Hochschul-Innenarchitekten gehalten.

Die papierenen Endlosschleifen hingegen teilten das Schicksal aller schriftlichen Elaborate, die zu lang geraten. Sie wurden zwar mit Eifer und Engagement und nicht ohne manuelle Mühe verfertigt, aber mit geradezu aufreizendem Gleichmut ignoriert.

Der Weg zur Mensa glich dem Zugang zu einem Sportstadion oder der Vorhalle einer Mustermesse. Uberall Anpreisungen und Angebote: da ein Rotbuchladen, dort ein Umweltproduktetisch, da ein überladener Infostand und dort eine gespickte Demo-Wand.

Die Mehrzahl der einströmenden Studenten wirkte mürrisch. Sei es, daß sie keinen Parkplatz direkt in der Nähe der Mensa gefunden hatten, sei, es, daß sie mit dem Gesellschaftssystem oder dem Wirtschaftssystem des Staates nicht einverstanden waren, sei es, daß nun doch eine Prüfung drohte, oder sei es, daß ihnen der Wahl-Jahrmarkt zu viel wurde. So kurvten sie durch die Polit-Ka-lafattis, deren Laune infolge der geringen Resonanz beim studentischen Publikum auch nicht eben besser wurde.

Da waren die Prospektverteiler direkt am Mensa-Eingang schon erfolgreicher. Sie hatten sich so vor dem Kaffeeautomaten aufgebaut, daß niemand an ihnen vorbei zum spätmorgendlichen Koffein-Schuß kommen konnte. Nur wer ihnen eines oder mehrere Flugblätter abnahm, wurde durchgelassen.

So kam auch Gerhard K., kür-zesthaariger Volkswirtschaftslehrestudent, völlig wider Willen in den Besitz des Flugblattes einer neukonservativen Studentengruppe namens „Wahre Werte". Aus Langeweile überflog er den Text:

„ ... ist Dir sicherlich schon aufgefallen, daß die Zustände in unserer Mensa unerträglich geworden sind. Die mangelnde Belüftung raubt uns den Atem, und Tische und Bänke sind so verschmutzt, daß man freiwillig auf das Essen verzichtet. Das ist aber auch kein Wunder, denn die wichtigtuerischen Minipolitruks in unserer fortschrittlichen Studentenvertretung kümmern sich ja lieber um den Frieden in der Welt, die Revolution in Afrika und die Uberwindung des kapitalistischen Systems in unserem Lande.

Da bleibt eben keine Zeit für die Vertretung der wahren Interessen der Studenten..."

Angeekelt ließ Gerhard K. das reaktionäre Blatt fallen — und hatte schon das nächste in der Hand. Als er die rauhe Oberfläche des Ümweltpapiers spürte, hellte sich seine Miene auf: Interessiert begann er den Aufruf der ökologisch-dynamischen Basisgruppe „Roter Rharbarber" zu lesen:

so spiegelt sich im Zustand unserer Mensa so recht der laquo;Ver-fall unserer Gesellschaft und ihrer Maß- und Ahnungslosigkeit wider. Aus Uberfluß wird Abfall, aus Natur Rausch. Was die Natur grün wachsen läßt, trocknet der ausbeutende Mensch aus Profitgier, um es verbrannt und übelriechend in die Luft zu blasen. In die Luft, die, neben der Liebe, das wahre Elixier des erfüllten, des bewußten Lebens des neuen Menschen ist. Aber die Verschwendung nimmt kein vernünftiges

Ende: Was sich hier an Abfall staut, wüchse dynamisch zum Biotop, wenn es nicht eine durch und durch verblendete und unbewußte Hochschulverwaltung..."

Das war ja auch nicht das Überzeugendste, ärgerte sich Gerhard K. dynamisch, steckte aber das Flugblatt immerhin in seinen Jutesack und stieß weiter in Richtung Kaffeeautomat vor.

Ein Dreier-Kollektiv versperrte ihm den Weg. Er nahm geduldig eine Zeitung, ein Taschenbuch und ein Flugblatt entgegen, murmelte ein verlegenes „Freundschaft", zog einen Becher Kaffee aus dem endlich erreichten Automaten und machte sich nach dem Drehen einer Zigarette an die Lektüre, zunächst vorsichtshalber des Flugblattes:

„Genossinnen und Genossen, die übergroße Mehrheit der Studenten, die uns bei der letzten Wahl in unser Amt gewählt hat, erweist sich der aus dem Klassenauftrag erwachsenen Pflicht zu hervorragenden Studienleistungen und Disziplin im akademischen Leben in unserer fortschrittlichen Universitätsgemeinschaft als würdig. Um so unverständlicher ist es, daß Ordnung und Sauberkeit in der von uns mitbestimmten Mensa in keinster Weise den Prinzipien unserer sozialistischen Lebensführung entsprechen. Wir fordern Euch auf, unverzüglich unter Beweis zu stellen, daß sich die fortschrittliche akademische Jugend in wohltuender Weise von dem uns umgebenden verrotteten kapitalistischen System unterscheidet. Wir fordern Euch auf, Selbstdisziplin zu üben und gegebenenfalls Euren Nebenmann auf seine Klassenpflicht hinzuweisen."

Gerhard K. nickte auffallend zustimmend, steckte sich noch eine Selbstgedrehte an und ließ den leeren Pappbecher achtlos fallen. Da brüllte von schräg hinten der schlüsselbewehrte Hausmeister: „Müll in den Eimer, Geschirr zur Ausgabe und Rauchen einstellen, sonst mache ich den Saustall hier dicht."

Und in zwei Minuten war die Mensa wieder in Ordnung — für akademische Verhältnisse wenigstens.

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