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Als österreich noch bei Böhmen war

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Vor sechzig Jahren war Böhmen noch bei österreich - daran er- innert ein bekanntes Lied. Vor 700 Jahren war es umgekehrt, da war österreich bei Böhmen, zumindest herrschte ein Mann aus böhmischem Geschlecht über beide Länder. Mit diesem Mann, „König Przemysl Otto- kar II. von Böhmen, Herzog von Oster- reich und der Steiermark”, befaßte sich DDr. Willy Lorenz, einst Chefre- dakteur der FURCHE, derzeit öster- réichischer Kulturattaché in Prag, in einem Vortrag im Palais Palffy.

Ein aktueller AnlaB war zweifellos vorhanden, jährt sich doch im kom- menden Jahr zum 700. Mai der Tag der Schlacht von Dürnkrut und des Todes des Böhmenkönigs, womit die 640jäh- rige Herrschaft der Habsburger über die österreichischen Länder ihren An- fang nahm. Natiirlich war das Otto- kar-Bild in der Folge durch die Tatsa- che beeinflußt, daß das Geschlecht des Siegers dieser Schlacht - Rudolfs von

Habsburg - jahrhundertelang an der Regierung war.

Lorenz ging von dem Ottokar aus, den wir im allgemeinen kennen. Doch der ehrgeizige böhmische Usurpator aus Grillparzers patriotischem Drama „König Ottokars Glück und Ende”, das 1955 zur Wiedereröffnung des Burgtheaters auf dem Programm stand, entspricht nicht ganz der geschichtlichen Wahrheit, wollte doch Grillparzer in erster Linie den Auf- stieg und Fall Napoleons an einer Fi- gur aus habsburgischer Vorzeit ex- emplifizieren.

Der historische Ottokar kam völlig legitim zur Macht in Osterreich. Von ihm erhofften sich die österreichischen Landstände einen Ausgleich mit den ständig bedrohlichen Ungarn. Zum ersten Mai tauchte der später von den Habsburgern dauerhaft verwirk- lichte Gedanke einer einheitlichen Herrschaft über Böhmen, Ungarn und die österreichischen Länder auf. Ottokars Ehe mit der Babenbergerin Margarete, von der er sich wegen Kinder- losigkeit später trennte (dort setzt

Grillparzers Drama ein), förderte seine Position. Es kam nicht so ganz von ungefâhr, daß Shakespeare Böh- men am Meer liegen ließ, reichten doch die von Ottokar beherrschten Gebiete- dazu gehörten auch die Steiermark, Kärntenund die Krain- bis an die Adria.

Ottokars Sturz begann mit der Wahl Rudolfs von Habsburg zum Deutschen König. Die Reichslehen, die Ottokar - keineswegs ein reiner Slawe, vielmehr ein halber Staufe und Urenkel Friedrich Barbarossas - von dem Interre- gnum-Herrscher Richard von Cornwallis schriftlich, aber nicht, dem Brauch entsprechend, persönlich und mündlich zuerkannt erhalten hatte, wurden zuriickgefordert. Ottokar fugte sich vorerst, griff aber dann zu den Waffen und verlor die entschei- dende Schlacht auf dem Marchfeld und - vermutlich auf der Flucht - auch das Leben.

Lorenz erzählte noch viel mehr. Da wurde kein Name einer historischen Gestalt erwähnt, ohne diese in das Ge- samtbild einzufügen, ohne sämtliche mit ihr verbundenen politischen und verwandtschaftlichen Zusammen- hänge aufzuklären. König Przemysl Ottokar II. vonBöhmenleistetejeden- falls viel fur sein Herzogtum Oster reich. DaB er die Städte Leo ben, Bruck an der Mur, Radkersburg und Marchegg gründete, daß er Öberöster- reich und Niederösterreich voneinan- der trennte, daß er die Vorläuferin der heutigen BundesstraBe 17 anlegen ließ, daB er in Wien das erste große Spital, eine Lateinschule (aus der sich später das Akademische Gymnasium entwickelte) und den ersten Stephans dom schuf, die ersten Fron- leichnamsprozessionen durchfuhren, die Malteser und Dominikaner kom- men ließ, daB noch der Ausbruch des Ersten Schlesischen Krieges (1740-1742) indirekt mit Ottokar zu- sammenhing, weil Friedrich II. An- sprüche auf die ehemals przemyslidi- sche Grafschaft Jägerndorf erhob - sind diese und etliche andere Fakten nicht weitgehend unbekannt? Das Gedenkjahr 1978 wird Gelegenheit sein, sich näher mit diesen Dingen zu befassen.

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