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Wo König Ottokars Glück sein Ende fand

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Große Ereignisse werfen ihre Schatten nicht nur voraus, sie zeigen auch - oft noch Jahrhunderte später - Nachwirkungen. Eine solche denkwürdige Begebenheit war die vor nunmehr 700 Jahren geschlagene Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen zwischen Rudolf I., dem ersten Habsburger auf dem deutschen Thron, und König Ottokar II. Pf e-mysl von Böhmen. Die aus diesem Anlaß von der Marktgemeinde Jedenspeigen mit Unterstützung der niederösterreichischen Landesregierung im Schloß Jedenspeigen veranstaltete Ausstellung sollte man nicht versäumen. Sie ist noch bis 29. Oktober 1978 geöffnet.

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Große Ereignisse werfen ihre Schatten nicht nur voraus, sie zeigen auch - oft noch Jahrhunderte später - Nachwirkungen. Eine solche denkwürdige Begebenheit war die vor nunmehr 700 Jahren geschlagene Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen zwischen Rudolf I., dem ersten Habsburger auf dem deutschen Thron, und König Ottokar II. Pf e-mysl von Böhmen. Die aus diesem Anlaß von der Marktgemeinde Jedenspeigen mit Unterstützung der niederösterreichischen Landesregierung im Schloß Jedenspeigen veranstaltete Ausstellung sollte man nicht versäumen. Sie ist noch bis 29. Oktober 1978 geöffnet.

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Heute liegen Stille und Frieden über dem Grenzland an der March zwischen Dürnkrut und Jedenspeigen. Eine wenig befahrene Straße, eine weite Ebene zwischen Marchauen und Weinbergen. Wo ist das einstige Schlachtfeld? Der Blick fällt nur auf Wiesen und Äcker, auf denen einige Bauern in sengender Hitze ihre Arbeit verrichten. Nichts deutet darauf hin, daß dieser Boden mit Blut getränkt ist.

Gar nichts? Im Schloß Jedenspei-genj das auf einem kleinen Hügel am Ende der gleichnamigen Ortschaft steht, erfährt man genau, was sich vor 700 Jahren auf dieser Ebene abgespielt hat. Zudem bekommt der Besucher der Ausstellung - ausgehend von der Schlacht - auch tiefen Einblick in das gesamte politische und kulturelle Leben des 13. Jahrhunderts, in die Probleme der Historiker mit den Quellen und ihrer richtigen Interpretation und in die „Wirkungsgeschichte“ der Schlacht in Politik, Kunst und Literatur. /

Der erste Teil der Ausstellung ist dem Ende der Babenbergerzeit und den Bewerbern um das Erbe Friedrichs des Streitbaren gewidmet, der zweite Teil jenem Fürsten, der sich in diesem Erbstreit durch die Ehe mit Friedrichs Schwester Margarete durchsetzte: Ottokar II. Premysl von Böhmen. Da wird mit der Vorstellung aufgeräumt, Ottokars Vierteljahrhun-dert seiner Regierung in Österreich (1251-1276) sei nur ein unbedeutendes Intermezzo zwßtfrien den“Blft3e'riDer-gern und den Habsburgern gewesen. Unter Ottokar setzte die Entwicklung der Stände in den österreichischen Ländern ein, machte die Verselbständigung von „Österreich ob der Enns“ große Fortschritte. Gleichzeitig bildete sich eine neue Gerichtsorganisation aus, erhielten bestimmte Stadtgebiete besondere Vorrechte. Darauf weisen Exponate wie die ottokarischen Stadtrechte für Tulln und Wiener Neustadt, die Pläne ottokarischer Stadtgründungen (Marchegg, Leoben) hin. Bemerkenswert der Ausbau von Marchegg als Festung gegen die Ungarn und das harte Vorgehen Ottokars gegen die Waldenser in Ober- und Niederösterreich.

Für die durch die Erbstreitigkeiten zerrissenen Länder Österreich und Steiermark bedeutete die Herrschaft des Böhmenkönigs die Wiederherstellung des lang ersehnten Friedens. Das „Interregnum“, die „kaiserlose, schreckliche Zeit“, in der ausländische Potentaten den deutschen Königstitel trugen, ohne in die deutsche Politik einzugreifen, diese Zeit mit ihren vielen negativen Begleiterscheinungen, bekamen Ottokars Länder kaum zu spüren. Immerhin ließ sich Ottokar nach der Scheidung von Margarete von einem dieser Herrscher, Richard von Cornwall, 1262 mit Böhmen, Mähren, Österreich und Steier belehnen. Eine in den Augen vieler ungültige, weil entgegen der herkömmlichen Praxis nur schriftliche Belehnung. Durch die Erwerbung von Kärnten, Krain und Friaul erstreckte sich Ottokars Reich Anfang der siebziger Jahre bis an die Adria, vielleicht eine Erklärung dafür, daß bei Shakespeare Böhmen am Meer liegt.

Am Gipel von Ottokars Machtentfaltung erfolgte die Wahl des Grafen Rudolf von Habsburg zum König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Die Gültigkeit der Wahl wurde angezweifelt, weil der Herzog von Bayern im Kurfürstenkollegium die Stimme des abwesenden böhmischen Königs beanspruchte. Zur schriftlichen Regelung der Königswahl kam es erst 1356 unter Karl IV. durch die „Goldene Bulle“. König Rudolf nun, zum'Teil wbhl von mit Ottokars Herr-schäft unzufriedenen ö§teW§ichischeh Adeligen bedrängt, zum Teil wohl auseigenem Ehrgeiz, sich und seiner Familie eine stattliche Hausmacht zu verschaffen, forderte von Ottokar die Reichsgebiete mit Ausnahme Böhmens und Mährens zurück. Vorerst mit Erfolg, denn Rudolfs erster Feldzug gegen Ottokar - gestützt auf eine geschickte Bündnispolitik - endete mit dem Einlenken des Böhmenkönigs, der einer friedlichen Lösung zustimmte und sich mit Böhmen und Mähren belehnen ließ (1276).

Aber der Friede stand nur auf dem Papier und war nicht von langer Dauer. Fest steht, daß Ottokar anfangs durchaus bereit schien, den Frieden einzuhalten. Aber einige Fragen waren im Friedensschluß nicht eindeutig geklärt, und immer wieder kam es zu gegenseitigen Verwüstungszügen in den jeweils gegnerischen Ländern. Tatsache ist, daß nun vor allem Ottokar begann, für einen neuen Krieg Bundesgenossen zu werben. Er verstand es aber nicht, den Vorsprung, den er dabei erhielt, auszunützen, und bald hatte auch Rudolf seine Verbündeten beisammen. Schließlich kam es zur Entscheidungsschlacht, deren Rekonstruktion Höhepunkt der Ausstellung ist. Ein gelungener Kurzfilm mit interessanten Trickaufnahmen bietet ein anschauliches, plastisches Bild der einzelnen Kampfphasen. Man sieht eine längst vergangene Zeit vor sich aufsteigen...

Der Tag der Schlacht ist angebrochen, der 26. August 1278. Ein Freitag, der bevorzugte Wochentag Rudolfs für Kämpfe. Nach ritterlichem Brauch haben die Gegner vorher, durch Unterhändler den Zeitpunkt der Schlacht vereinbart. An diesem heißen Sommertag steht ein heißes Treffen bevor. Seit Tagen lagert Ottokars Heer nördlich des Baches, der durch Jedenspeigen zur March fließt. Am Vortag hat Rudolf für seine Truppen das Lager auf der Hochebene zwischen dem Haspelberg und Dürnkrut aufgeschlagen, von wo er das künftige Schlachtfeld gut überblicken kann. In unmittelbarer Nähe befindet sich das mit Rudolf verbündete ungarische Heer unter König Ladislaus IV., den Rudolf mit viel diplomatischem Geschick für sich gewonnen naf.

Vor der Schlacht wird noch eine Messe gelesen. Es bietet sich ein Bild wie vor anderen mittelalterlichen Kampfhandlungen. Knieende junge Männer, die den Ritterschlag und die Kommunion empfangen. Dann werden auf beiden Seiten je drei Treffen aufgestellt, bestehend aus den besonders kampfstarken „verdeckten Rossen“ (gepanzerte Reiter auf gepanzerten Pferden), aus leichteren Reitern (auf nicht gepanzerten Rossen) und ungepanzerten Bogenschützen. Rudolfs Reiter sind durch ein weißes Kreuz, Ottokars Soldaten durch eine weiße Stola gekennzeichnet. Während die Kämpfer gegeneinander anreiten, stimmt auf Rudolfs Seite Bischof Heinrich von Basel das Schlachtlied „Sant Mari, muoter und meit“ an, vom böhmischen Lager her erklingt das Lied des heiligen Adalbert („Hospodi-ne, pomiluj ny“).

Um etwa 9 Uhr vormittags stoßen die ersten Treffen unweit vom böhmischen Lager aufeinander. Rudolfs Taktik geht zunächst dahin, die große zahlenmäßige Überlegenheit der -Panzern vergleichbaren - „verdeckten Rosse“ auf böhmischer Seite auszugleichen. Er setzt die im Nahkampf unbrauchbaren, durch ihre Pfeile aber beim Gegner Verwirrung und Verwundungen auslösenden kumani-schen Bogenschützen ein, die tatsächlich Ottokars erstes Treffen ins Wanken bringen.

Aber sofort wendet sich das Blatt als unter Ottokars persönlicher Führung das zweite böhmische Treffen, hauptsächlich aus „verdeckten Rossen“ bestehend, in die Schlacht eingreift. Rudolfs zweites Treffen wird zurückgeschlagen, er muß sein drittes einsetzen,

Oben: Mittelalterliche Reiterformation auf „verdeckten Rossen“ - die stärkste Waffe des 13. Jahrhunderts; Links: Der Verlierer: Ottokar II. Premysl von Böhmen (Aus einem Codex des Zwettler Stiftsarchives); Rechts: Der Sieger: Rudolf I., der erste Habsburger auf dem deutschen Königsthron (Gipsabguß der Grabplatte im Dom zu Speyer aus Schloß Lenzburg)

Photos: Boberski um das Feld zu behaupten. In dieser Phase der Schlacht wird Rudolf aus dem Sattel in den Weidenbach geworfen, wo ihm der Schweizer Ritter Walther von Ramsweg zu Hilfe kommt und ihn auf ein frisches Pferd setzt. Fürstlicher Lohn ist ihm dafür sicher. Daß ein vom Pferd geworfener schwer gepanzerter Reiter ziemlich unbeweglich ist, kann man sich vorstellen.

Noch hat Ottokar sein drittes Treffen: nicht in die Schlacht geführt, dasjjem Kampf die entscheidende Wendung geben könnte. Da greift Rudolf zu einem Mittel, das nach ritterlichem Ethos verpönt, nichtsdestoweniger aber - und das weiß Rudolf - schon mehrmals mit Erfolg angewendet worden ist. Er läßt aus einem vorbereiteten Hinterhalt in den Weinbergen einige Dutzend gepanzerte Reiter unter Ulrich von Kapellen in die Flanke des Gegners fallen. Die Verwirrung im böhmischen Herr verstärken Rudolfs Leute durch den Ruf: „Sie fliehen, sie fliehen!“ Tatsächlich wenden sich nun viele Getreue Ottokars zur Flucht, reißen die anderen und auch das ausgeruhte dritte Treffen, das somit gar nicht mehr zum Einsatz kommt, mit. Ottokars Leute werden vernichtend geschlagen, er selbst von einem per7

sönlichen Feind ermordet, der Leichnam wird beraubt und völlig entblößt. Mit Ottokars Glück finden auch Tausende Kämpfer bei Jedenspeigen ihr Ende. Österreich steht an der Schwelle zu 640 Jahren habsburgischer Herrschaft.

Nach diesem eindrucksvollen Erlebnis fällt egjschwer, sich auf die weiteren Themen und Objekte der Ausstellung zu konzentrieren, die den drei Heerfülafrerrf fOttokar, Rudolf; Ladislaus) und dem Nachleben dieser Schlacht vonjeuropäischer Bedeutung bis zu Schillers Gedicht „Der Graf von Habsburg“ und Grillparzers Drama „König Ottokars Glück und Ende“ gewidmet sind. ,

Tritt man aus dem Schloß, ist all das fürs erste wieder vergessen. Ist es heute nicht still und friedlich hier? Der Schein trügt. Kaum einen Kilometer weiter steht man am Eisernen Vorhang, zeugen die Wachtürme an der March, daß dieses Land auch heute nicht echt zur Ruhe gekommen ist, höchstens zu einem friedlich anmutenden wirtschaftlichen Stillstand infolge der exponierten Lage an der Grenze. Wie wird es hier nach weiteren 700 Jahren aussehen?

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