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Begreiflich, daß ein 80jähriger Autor, dessen Romane und Erzählungen in der Hauptsache verkappte Autobiographien waren, keine Lust aufbringt, gegen Ende seines Lebens eigens noch einmal, und zwar pur, eine Beschreibung seiner selbst vorzulegen. Denn wenn „Stille Tage in Clichy“ in Clichy und anderswo in Wahrheit auch nicht so still verlaufen sein mögen, wenn „Plexus“, „Nexus“ und „Sexus“ infolge maßloser Übertreibung gesprächsweise den Vorhalt riskiert hätten: „Erzählen Sie uns keinen Roman!“ und wenn „Lachen, Liebe, Nächte“ sich auch in vielen Einzelheiten prosaischer abgespielt haben dürften als in der literarischen Wiedergabe der sechs Prosastücke — das eigene Leben dieses von deutschen Auswanderern abstammenden Amerikaners Henry Miller (geboren am 26. Dezember 1891 in New York als Sohn eines Schneiders, der gern trank) war mit gutem Recht stets Hauptthema seiner Schriftstellerei.

Er lebte ja seit jeher seine jähen Einfälle, es brauchte keine weiteren. Die nackte Geschichte seiner Tage,

Nächte und Jahre glich einer etwas schnodderig, nicht sehr sorgfältig konzipierten Geschichte, sie mußte nur einigermaßen frisiert und geordnet zu Papier gebracht werden, um literatur- und druckreif zu sein. Allerdings nicht immer erscheinungsreif; wiederholt wurden Bücher von Henry Miller da und dort verboten, kaum daß sie herausgekommen waren. Oftmals wurde er als Pornograph bezeichnet. Und nun bekennt er: „Das Komische ist, daß pornographische Literatur mich nicht anregt, praktisch überhaupt keine Wirkung auf mich ausübt. Ja, ich würde sagen, sie langweilt mich.“ Aber knapp vorher: „Ich glaube, ich habe über Sex geschrieben, weil das eine so große Rolle in meinem Leben gespielt hat. Sex war immer das Dominierende.“

1924 gab es die erste Scheidung, im gleichen Jahr Wiederverheiratung. 1962 die vierte Scheidung, 1967 die fünfte Ehe. Diesmal heiratet der bereits Sechsundsiebzigjährige eine junge Japanerin; unklar, ob er darum kurz vorher die japanische Sprache zu lernen begonnen hat. Nun behauptet er, „ich habe nicht viel über meine wirklichen Lieben geschrieben“, aber jedenfalls genug, um des Schreibens darüber und über sich müde zu sein: „Mein Leben und meine Welt“ ist also bloß ein offenbar retouchierter Auszug von Gesprächen mit Bradley Smith, die extra auf Band fixiert wurden, um in Extraform das vorliegende Buch zu ergeben. Der Herausgeber verrät im Vorwort: „Als ich Henry Miller bat, ein Vorwort für sein Buch zu schreiben, war seine erste Reaktion, daß Vorworte eine Quälerei, Unfug und reine Zeitverschwendung seien. Aber dann fügte er hinzu: ,... warum schreiben Sie es nicht selbst?'“ Nein, er wollte einfach nicht mehr, er war bestenfalls bereit, mit einem umgänglichen Menschen über sich zu reden, nicht allzu verbindlich („über manch einem Gin Tonic und manch einem guten französischen, italienischen oder japanischen Essen“), aber das Schreiben über sich selbst hatte er endgültig satt.

Henry Miller denkt keinen Augenblick daran, sich großartig zu konzentrieren, systematisch vorzugehen oder chronologisch. Er plaudert über sich und seine Ansichten, spricht und widerspricht sich gelassen, ein perfekter Selfmademan, der das Leben für einen vergnüglichen Job hält. „Wenn ich mit der Hand schreibe, bin ich aufrichtiger“, meint er zur Arbeit an der Schreibmaschine. Und in dem großformatigen Buch, das mehr aus Bildern und photogra-phierten Manusseiten und weniger aus Text besteht, liest man — deutsch — die handschriftliche Notiz: „Du lieber Himmel! Mir scheint, diese hässlichen alten Knacker kriegen oft die schönsten Weiber.“ Er gibt seelenruhig zu: „Kein Mensch ist so

chaotisch wie ich.“ Wahrscheinlich heißt das: kein Schriftsteller. Er „war Straßenbahnschaffner, Müllmann, Bibliothekar, Versicherungsagent und Buchverkäufer gewesen und hatte im Telegraphenamt gearbeitet“, dies sogar mehrere Jahre lang. Außerdem war er „zwei, drei oder vier Jahre“ Gehilfe in der Schneiderei seines Vaters, so „daß ich mich in Wollstoffen und Seiden auskenne“, und als „die kleine Zeitschrift Liberty“ seine ersten Artikel angenommen hatte, dachte sich der gar nicht ehrgeizige Anfänger in seiner Geldnot: „Warum soll ich etwas Neues schreiben? Ich gehe ihre alten Nummern durch, nehme mir die veröffentlichten Geschichten vor, ändere den Anfang und das Ende und die Namen der Personen und verkaufe sie ihnen.“ Gedacht, getan.

Er hält nichts von ordinären Kraftausdrücken im Text: „Intellektuelle neigen dazu, diese Sprache um der Wirkung willen anzuwenden. Dafür habe ich nur Verachtung übrig.“ Trotzdem hat der Schreiber dieser Zeilen, bei allem unvermeidlichen Verkehr mit Intellektuellen, das Wort „Scheiße“ (von vulgären Sexausdrücken ganz zu schweigen) in einem Jahr bestimmt noch nicht so oft gehört, als er es im vorliegenden Buch gelesen hat. Und das ist vielleicht der größte Reiz an diesem (spitzbübischen Greis und seiner Weltlüsternheit: daß er sich nach wie vor nicht das Geringste daraus macht, was andere über ihn denken.

MEIN LEBEN UND MEINE WELT. Von Henry Miller. Edition Praeger, München—Wien—Zürich 1912. 206 Seiten.

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