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An Schöngrabern vorbei

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Ein Frühsommertag, du bist auf der Straße von Wien nach Znaim unterwegs. Ringsum die wogenden Felder. Fruchtbares Ackerland. Roter Mohn blutet den Wegen entlang.

Die Hussiten zogen hier brennend und sengend vor Jahrhunderten durch die Dörfer, schwedische Reiter des General Torstenson stießen auf dieser Straße gegen die Kaiserstadt vor und Napoleon schlug auf den heute wogenden Ährenfeldern die Truppen des Fürsten Kutsow.

Wogende Felder. Felder der Ähren. Felder der Ehre. Leben und Tod. Ein rotes Gerinnsel, da und dort ein blutiger Klecks inmitten der im Winde rauschenden, glänzenden Halme.

Inmitten dieser Brandung steht aber auch, an dem Schnittpunkt der Straßen von Nord nach Süd und Ost nach West, etwas erhöht auf einem Hügel, die kleine romanische Kirche mit den seltsamen Figuren auf der Außenmauer der Apsis.

Halte ein, steige den Hügel hinan, es ist ein Ort ein wenig innezuhalten auf der eiligen Fahrt, ein wenig über Leben und Tod zu sinnen, nachzudenken, ob es nicht auch eine Fahrt von unten nach oben oder von oben nach unten sei, über uns hinaus oder in uns hinein., Aber ich werde rot vor Mißtrauen/gegen mich selber, wenn mich / der schwebende Gott, mit den / argverschlungenen Beinen, berührt” schreibt der Dichter Alfred Gesswein in seinem Gedicht „Schöngrabern”.

Argverschlungen sind auch die Wege, auf denen wir alle wandern und auf denen wir von einem Gott - sei es Apollo oder Merkur - berührt werden.

Doch hier, vor der Apsis der Kirche von Schöngrabern ist es gut, die Gedanken um Dividende, um geschäftliche oder gesellschaftliche Vor- und Nachteile unten am Parkplatz im Auto zu lassen. Hier ist es auch gut, den Dehio oder andere Bücher mit gescheiten kunsthistorischen Erläuterungen erst einmal geschlossen zu lassen und einfach zu den seltsam teigigen Figuren hochzuschauen. Da blicken sie all die Jahrhunderte herunter auf uns, diese tief in den Stein gebohrten Pupillen, blicken aus Köpfen mit großen Augen, aus Köpfen mit verzerrten, mit halbverschlossenen, mit zum Schrei geöffneten, mit lächelnden Mündern. Der Wind streicht über die Felder, Furche um Furche, Welle um Welle. Die Kleider, die Haare, die Gliedmaßen, alles zeigt Welle auf Welle, alles ist eine Einheit, noch das Fell des Löwen, wie die Bart- und Haupthaare des, auf dem Rundbogen ruhenden Kopf des Gottes, an dem sich das Menschenpaar anklammert.

Hier, bei einem langsamen Umschreiten der Rundung der Apsis spüren wir die Einheit des Kosmos, und wenn uns auch bei der stillen Betrachtung dieser steinernen Zeugen ferner

Zeiten, Bilder aus dem Alten Testament gegenwärtig werden, so werden wir gerade durch die ausdrucksstarke Einfachheit, die anatomisch falsche Darstellung, die aber doch eine kraftvolle Aktivität ausdrückt, an Umfassenderes erinnert. Es ist nicht nur der Gott eines kleinen vorderasiatischen Volkes der da breitbeinig auf einem Throne, über dem gekrümmten Leib eines sonderbaren, fischschwänzigen Tieres sitzt. Es ist jener, einer Menschheit, die das, aus dem Wasser kommende Tiersein überwunden hat und trotz vieler Rückfälle zu einem anderen Sein strebt.

Wenn wir in den einschiffigen Kirchenraum treten, lassen wir am besten fürs erste die großen, spätmittelalterlichen Fresken, diese indirekte Verherrlichung einer politischen Macht, beiseite. Wir schreiten vor, zur einfachen Rundung des Altarraumes. Das Gewände des Triumphbogens zieht uns in das schmucklose Halbrund. Ein Raum im Raum, von dem Licht der aufgehenden Sonne durch das schmale Fenster im Raum erhellt.

Stille. Stille zum Nachdenken, zum Meditieren. Kehren wir dann wieder zurück zum Parkplatz und auf die belebte Straße, dann mögen uns die letzten Zeilen des erwähnten Gedichtes von Alfred Gesswein begleiten: Und es ist nichts / zu sagen über meinen Weg / in die Verlassenheit des Lärmes / und über die rätselhafte / Ergebenheit dahin.

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