Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Der Pfarrer als Narr
Wien ist schon immer berühmt für seine Maskenbälle und Maskenfeste gewesen. Fasching - oder die Maske bringt es an den Tag: Das wahre oder das geborgte Ich. Und in jede Maske kann man beziehungsweise frau schlüpfen - von den Bettlern bis zu den Mafiosi, von den alten Bömern bis zu den neuen Grafen.
Nur eines war im - auch religiös prüden - 19, Jahrhundert streng verboten: alle geistlichen Gewänder, also die Tracht von Nonnen, Mönchen und Pfarrern aller Konfessionen.
Da hörte sich der Spaß auf, wie in den „Wiener Spaziergängen” von
Daniel Spitzer nachzulesen ist. Undenkbar - ein frivoles „Weibsbild” in Nonnentracht, ein Lebemann und Gourmet als Bischof!
Und warum? Weil man die echten Träger und Trägerinnen von geistlichen Gewändern nur mit höchst ernsten Dingen assoziierte: Wie den letzten und tiefsten Wahrheiten des Glaubens, mit Buße und Erlösung, mit den Geheimnissen im Himmel und auf Erden.
Wie anstößig wäre dann erst ein echter Pfarrer, der tanzt und singt und sich närrisch aufführt? Der Pfarrer als Narr? So etwas wäre heute noch beinahe ein Skandal.
Und das ist eigentlich recht er-
staunlich, denn die Bibel zieht dem Pfarrer kein frommes Dauerpräservativ über, um ihn zu Ernst und Düsterkeit zu verurteilen.
Die Bibel präsentiert den Propheten sogar ganz bewußt in der Bolle des Narren. So schreibt der Apostel Paulus an die christliche Gemeinde ein Korinth: „Wenn einer unter euch glaubt, weise zu sein in der Welt, so soll er ein Narr werden, damit er dann weise wird. Denn die Weisheit dieser Welt ist Narrheit bei Gott. Gott weiß, daß die Gedanken der Oberg'scheiten narrisch sind.”
Wer also sagt, was Gott will, wird leicht für einen Narren gehalten.
Gerade Jesus hat sich nicht geniert, in diesem Sinn als prophetischer Narr aufzutreten. Ja die ganze Bergpredigt ist so eine „Narrenpredigt”.
Oder klingt das vielleicht vernünftig? „Selig sind die Armen im Geist. Wenn dir einer eine Watschen gibt, dann halt ihm die andere Wange auch hin. Liebt eure Feinde. Macht euch keine Sorgen um morgen ...”
Und darum sollten die geistlichen Herren und Frauen getrost als Narren auftreten, und die Narren und Närrinnen ungeniert als Propheten. Denn vielleicht kann uns heute nur mehr die heilige Narrenpredigt vom Untergang retten.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!