7100396-1995_09_15.jpg
Digital In Arbeit

Der Pfarrer als Narr

Werbung
Werbung
Werbung

Wien ist schon immer berühmt für seine Maskenbälle und Maskenfeste gewesen. Fasching - oder die Maske bringt es an den Tag: Das wahre oder das geborgte Ich. Und in jede Maske kann man beziehungsweise frau schlüpfen - von den Bettlern bis zu den Mafiosi, von den alten Bömern bis zu den neuen Grafen.

Nur eines war im - auch religiös prüden - 19, Jahrhundert streng verboten: alle geistlichen Gewänder, also die Tracht von Nonnen, Mönchen und Pfarrern aller Konfessionen.

Da hörte sich der Spaß auf, wie in den „Wiener Spaziergängen” von

Daniel Spitzer nachzulesen ist. Undenkbar - ein frivoles „Weibsbild” in Nonnentracht, ein Lebemann und Gourmet als Bischof!

Und warum? Weil man die echten Träger und Trägerinnen von geistlichen Gewändern nur mit höchst ernsten Dingen assoziierte: Wie den letzten und tiefsten Wahrheiten des Glaubens, mit Buße und Erlösung, mit den Geheimnissen im Himmel und auf Erden.

Wie anstößig wäre dann erst ein echter Pfarrer, der tanzt und singt und sich närrisch aufführt? Der Pfarrer als Narr? So etwas wäre heute noch beinahe ein Skandal.

Und das ist eigentlich recht er-

staunlich, denn die Bibel zieht dem Pfarrer kein frommes Dauerpräservativ über, um ihn zu Ernst und Düsterkeit zu verurteilen.

Die Bibel präsentiert den Propheten sogar ganz bewußt in der Bolle des Narren. So schreibt der Apostel Paulus an die christliche Gemeinde ein Korinth: „Wenn einer unter euch glaubt, weise zu sein in der Welt, so soll er ein Narr werden, damit er dann weise wird. Denn die Weisheit dieser Welt ist Narrheit bei Gott. Gott weiß, daß die Gedanken der Oberg'scheiten narrisch sind.”

Wer also sagt, was Gott will, wird leicht für einen Narren gehalten.

Gerade Jesus hat sich nicht geniert, in diesem Sinn als prophetischer Narr aufzutreten. Ja die ganze Bergpredigt ist so eine „Narrenpredigt”.

Oder klingt das vielleicht vernünftig? „Selig sind die Armen im Geist. Wenn dir einer eine Watschen gibt, dann halt ihm die andere Wange auch hin. Liebt eure Feinde. Macht euch keine Sorgen um morgen ...”

Und darum sollten die geistlichen Herren und Frauen getrost als Narren auftreten, und die Narren und Närrinnen ungeniert als Propheten. Denn vielleicht kann uns heute nur mehr die heilige Narrenpredigt vom Untergang retten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung