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Aufzügliches

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Als der Mensch aus den Höhlen auszog, hat er das Haus erfunden. Nachdem ihm das Parterre zu wenig geworden war, hat er den ersten, zweiten und bald auch den dritten Stock erfunden. Notgedrungen hat er daher die Treppe erfunden. Nach der Erfindung des vierten Stockwerks hat er den Aufzug erfunden. Hierauf ist ihm der Bauch gewachsen.

Der Aufzug oder Lift, der ebensogut Abzug genannt werden könnte, da ihn die Leute in beiden

Richtungen verwenden, ist ein von mir nur in Ausnahmesituationen frequentiertes Gerät.

Vor allem traue ich ihm nicht. Er hängt da an ein, zwei oder meinetwegen drei Seilen. Jedes kann, genausogut wie das Rad, über das es rollt, jederzeit reißen, brechen oder zumindest steckenbleiben. Wer je einen jener käfigf örmigen, mit geschliffenem Glas ornamentierten und mit Orgelregistern versehenen Aufzüge der Gründerzeithäuser gesehen hat, die inmitten des Stiegenhauses freischwebend ihr ruckartiges Dasein fristen, ihre kärgliche Maschinerie schamlos darbietend, muß mir Recht geben.

Die gepolsterte Sitzbank und die zwei engen, unbedingt zu schließenden Innentüren machen das nicht besser. Horrorfilme leben davon, hier hilflos Eingeschlossene in all ihren äußeren und inneren Nöten darzustellen.

Modernere Exemplare verbergen sich in eigens für sie errichteten Schachten und sind zumeist auch während der Fahrt an der Türseite offen, was ein Sich-An-lehnen an jener vorbeirasenden Wand als unzweckmäßig erscheinen läßt. Daß auf diesen Wänden zwischen den Geschoßen mitunter Inschriften wie „Inge hebt Pe-pi“ zu lesen sind, läßt auf längere Aufenthalte mancher Passagiere an derart ungewöhnlichen Plätzen schließen, was mein Mißtrauen eher mehrt, wiewohl im Inneren der Kabinen angebrachte Texte wie „Bei Stillstand zwischen den Geschoßen Hausbesorger rufen, es kann Ihnen nichts geschehen“ erfolglos das Gegenteil bewirken sollen. Ich habe noch keinen Hausmeister gesehen, der am Fuße jeglichen Aufzugs der Hilferufe eingezwängter Liftinsassen geharrt hätte.

Der letzte Schrei der Elevatoren ist ihre Programmierfähigkeit. Wenn sie funktioniert, sollte die Kabine den in Zwischenstationen Wartenden nicht die hämischen Blicke der bereits Drinstehenden und Sich-vorüber-Gesenkt- oder -Gehobenwerdenden, sondern einen barmherzigen Halt vermitteln.

Ungeduldige Aufzugbenützer, die die „Ich-will-hinunter“- und

die „Ich-will-hinauf“-Taste gleichzeitig drücken und nicht mit der Befehlsorientiertheit der Gerätschaften rechnen, verschärfen einschlägige Situationen, steigen noch, bei sich bereits schließender Tür, den Irrtum der falschen Richtung erkannt habend, rasch aus, bewirken einen neuerlich von vorne beginnenden Stockwerksaufenthalt und potenzieren den Grimm der Geschlichteten.

Es ist, will man das vierzehnte Stockwerk von Hochhäusern halbwegs bei Atem erreichen, dennoch, auch für mich, unumgänglich, Aufzüge zu besteigen. Das Wunder, daß sie selbst lebhafteste Dialoge als Orte des Schweigens schlagartig zu unterbrechen imstande sind, fasziniert mich dabei am meisten.

Die Peinlichkeit jedoch, der ich vor kurzem ausgesetzt war, wird für mich möglicherweise ein Impuls sein, die zu Fuß zu bewältigende Stockwerksanzahl zu erhöhen. Eine Dame, mit der ich die Kabine bis zum achten Stock teilte, verließ mich unter Hinterlassung beißendsten Transpirationsgeruchs. Die im neunten Stock einsteigende, ganz andere Dame maß mich hierauf empört und geringschätzig. Sollte ich ihr mitteilen „Ich bin's nicht“? Das kann schließlich jeder sagen.

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