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Bildungsurlaub

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Korsika. Die Insel des Honigs und der Gewürze. Die Insel der Separa- tisten, die keine Franzosen sein wollen, aber auch keine Italiener, sondern eben Korsen. Die Insel aber auch der Kultur. Was dazu führt, daß der liebe Mensch an meiner

Seite eines Tages Berg und Strand zu verlassen wünscht und mir Fili- tosa als Ziel angibt.

Filitosa. Trockenes Macchialand, in einer Bucht gelegen, wo mit je- dem Kilometer Entfernung vom Meer die Temperatur um einen Grad

zunimmt. Es ist völlig windstill, es ist völlig wolkenlos, doch die Kul- tur ruft. Hier, der letzte Getränke- stand ist dreitausend Meter weit, stehen sie.

Menhire sind es, Zeugen der Ver- gangenheit, von den Alten wie auch immer gemeinte Steindarstellun- gen, gewaltig und mächtig in die gleißende Sonne aufragend.

Im Reiseführer lese ich über sie. Der Autor nennt sie anthropo- morph. Menschenähnlich wäre aufs erste verständlicher, doch wie immer, wenn der vermeintliche Rand des Aussprechbaren erreicht ist, flüchtet sich der Deutschspra- chige ins Fremdwort.

Ich sage es einige Male leise vor

ES FEHLT IHM NUR NOCh\ ETWAS AN KOORDINATIONS - 1 FÄHIGKEIT ZU DEN NEUEN, / SCHNELLEN RECHNERN. J

(Karikatur Löffler)

mich hin, und ich gebe zu, daß mich das Wort in seinen Bann zieht. Da stehen sie, die schwer zu Deuten- den, und rund um sie die Touristen, anthropomorph auch sie, wie ich eben zu denken geneigt bin. Beson- ders die weiblichen Gäste aus aller Welt können sich nicht genug mit den Menhiren fotografieren lassen, sie umklammern sie, bestaunen sie, erschauern, kichern, haben den Reiseführer nicht gelesen, nun ja, eben anthropomorph.

Der Konrad Lorenz fällt mir ein und sein Satz, wir seien das lang gesuchte Glied in der Kette vom Affen zum Menschen. Das paßt hier in meine Betrachtungen unter der glühenden Sonne Korsikas, und ich erfahre im Reiseführer, daß es Menhire auch im Südtiroler Pas- seiertal gegeben habe, die stünden allerdings in Meran im Museum. Dort ist es nicht so heiß wie da, dort wären die Damen nicht so ausge- lassen wie da in den lockeren Tops und Shorts, nicht so anthropo- morph.

Ich muß achtgeben. Auch der lie- be Mensch an meiner Seite will sich an einen der gewaltigsten Menhire angelehnt knipsen lassen, ich ver- stehe das. Beinahe wäre ich über- heblich geworden.

Aber der von mir so verehrte Konrad Lorenz hat sich selber in seinen Satz über das fehlende Glied einbezogen, selbstverständlich hat er das in seiner Demut getan. Da wird mir Geringem auch nichts anderes übrigbleiben.

Meine Lust an den Menhiren wäre größer, wenn die Sonne von Filito- sa hinter einer Wolke verschwän- de. Doch da wird, daheim, das Foto sein und die Kühle des Zimmers.

Und die Aussicht, im nächsten Urlaub, vielleicht in den sanft ge- rundeten Dünen einer afrikani- schen Wüste, anderen Assoziatio- nen Raum zu geben.

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