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Ansichtskarte hus Alassio

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Eines Tages kommt die Ansichtskarte aus Alassio. Mit sehr viel blauem Meer und vielleicht auch einem Tintenpfeil, der in ein Hotelfenster hineinweist und den Vermerk trägt „Hier wohnen wir“. Zuweilen ist die Karte auch nicht aus Alassio, sondern aus Nizza, Dubrovnik, Rimini oder Salerno. Jedenfalls aber trägt sie außer der ausländischen Briefmarke einen Hauch von südlicher Sonne und Urlaubsfreude an sich.

Sonst ist ja nicht viel daran: der Text beschränkt sich häufig auf die billigen fünf Grußworte, und selbst wenn er darüber hinausgeht, erfährt man wenig mehr, als daß das Meer herrlich zum Baden ist, daß die Sonne geradezu Tag und Nacht scheint, daß der Absender einen herrlichen Urlaub verbringt — und daß das Leben „hier unten“ sehr teuer ist und nächste Woche der Urlaub zu Ende geht.

Diese beiden letzten Bemerkungen zeugen von zartem Taktgefühl des Kartenschreibers: nach-cT m er zuerst mit wenigen begeisterten Worten die Flammen des Neides emporzüngeln ließ, mildert er nun mit dem Hinweis auf die Kosten und das Urlaubsende die schmerzhafte Begierde des Empfängers erheblich ab. Doch nur selten ist diese Milderung stark genug dosiert, um Schadenfreude oder Mitleid zu erzeugen Meist bleibt doch ein erheblicher Rest des Stachels in der Seele des Adressaten zurück: das bittere Gefühl „Hier sitze ich daheim, weil ich nicht anders kann, und der — dieser, also mein Freund und Kollege — läßt sich in Alassio die Mittelmeerwellen um die Beine plätschern und röstet zwischen Signoras, Oliven und Spaghettis!“

Glücklicherweise erfordert die Etikette nicht, daß derartige Urlaubsgrüße beantwortet werden müssen. Es genügt, wenn man sich kurz dafür bedankt, sobald man einander wieder einmal daheim begegnet. Dann allerdings hat man die große Chance, sich für eine besonders provozierende Karte auf subtile und heimtückische Weise zu rächen. Sehr wirkungsvoll ist es etwa, nach kurzem Freudenausbruch über das Wiedersehen und nach herzlichen Dankesworten für die wunderschöne Karte so ganz nebenbei den vergifteten Satz abzuschießen: „Eigentlich habe jeh mir gedacht, daß du von dort viel mehr Sonnenbräune mitbringen würdest. Ich war bloß jeweils am Sonntag im Park und bin kaum blasser. Warst du am Ende gar zwischendurch krank?“

Dann windet sich der böse Urlaubskartenschreiber in schmerzlichen Krämpfen, denn Sie haben ihn ins Innerste getroffen. Wollen Sie aber den giftigen Pfeil noch tiefer in die Wunde bohren, dann fahren Sie harmlos fort: „Du hast doch geschrieben, daß das Wetter so prächtig war; hat es sich am Ende gar später verschlechtert und geregnet?!“ (Das heißt zu gut deutsch: ,.lch bin überzeugt, daß du. Schuft gelogen hast, als du vom strahlenden Wetter geschrieben hast.“) Wenn Ihr Gegner keine Elefantenhaut und keine Basiliskenseele besitzt, dann wird er Ihnen nie mehr aus Alassio schreiben.

Die meisten Kartengriiße von der blauen Adria und der azurnen Cöte d'Azur sind aber hinreichend abgemildert, um solche Gehässigkeiten nicht zu rechtfertigen, Hier rächt man sich für den kleinen zurückgebliebenen Stachel nur mit einem beiläufigen: ,.Ach ja. Alassio (oder Nizza, Dubrovnik usw.) ist sehr nett, aber ein bißchen langweilig. Wir waren vor zwei Jahren einmal dort.“

Vor allem aber ist des großen Homöopathen Hahnemann zu gedenken, der da gesagt hat ..simililaa similibus curantur“ — „Gleiches wird durch Gleiches geheilt“. Das heißt im konkreten Fall: wenn Sie selbst auf Urlaub fahren, dann scheuen Sie nicht, kostbare Lire, Francs, Peseten und Dinare für die herrlichsten Ansichtskarten auszugeben, die jemals in Koda-chrome hergestellt wurden. Kaufen Sie nicht liefelos irgendwelche billige alte Lithographien, sondern wählen Sie das bunteste, eindruckvollste und verlockendste Panorama, das Sie finden können.

Bei der Abfassung des Textes müssen nun freilich Sie ihrerseits jene genaue Dosierung finden, die höchste Euphorie mit angedeuteter Demut und den Ueberschwang der Urlaubswonne mit edler Sympathie für die Daheimgebliebenen verbindet. Sehr gut macht es sich, wenn Sie sagen, bei der Ankunft hätte es leicht geregnet, aber seither habe sich kein Wölkchen gezeigt. Vielleicht sind es diese paar Regentropfen, die sie dann, heimgekehrt ins Büro, vor den Pfeilen der Gehässigkeit bewahren.

Kartengrüße aus Urlaubsorten erfüllen eine mehrfache Mission. Sie bringen Beschäftigung, wenn man im Schatten eines Sonnenschirmes bei einem Espresso oder einem Coca-Cola dahin-döst. Sie beleben die ortsansässige Photoindustrie und den Gemischtwarenhandel. Sie fördern durch Propagierung landschaftlicher Schönheiten den Fremdenverkehr und damit die internationale Verständigung zwischen den Völkern. Sie sind ein Entgiftungsventil bei dichter

Bewölkung und hohen Preisen. Sie sind lehrreicher Anschauungsunterricht in angewandtem Kitsch. Sie künden von den Banden der Freundschaft, die uns über Berge und Grenzen hinweg mit unseren Lieben daheim verbinden. Sie zeigen mit farbphotographischer Treue, welch vornehme Urlaubsorte wir uns jetzt schon leisten können. Last not Ieast: sie erfüllen die Daheimgebliebenen mit ein wenig Neid.

So wollen wir also den Kugelschreiber zücken und das unsere dazu beitragen, die Postverwaltungen in Mittel- und Südeuropa aus ihrem Defizit zu reißen: „Wetter prachtvoll, herrlicher Sandstrand, Verpflegung gut, aber sehr teuer, prima Rotweine; schade, daß Du nicht da bist. Herzlichst... PS.: Wir sind schon schwarz wie die Neger.“

Beim Adressieren vergessen Sie dann, bitte, nicht, statt Herr oder Frau oder Fräulein die ortsüblichen Bezeichnungen zu wählen: ,,Signor Karl Warchalek“, „Mademoiselle Heidemarie Westerwald“, „Seflora Elfi Plotsch.“ Das ist natürlich kein Snobismus, sondern hilft den Postbeamten von Alassio und Nizza ganz ungemein.

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