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Bitterer Nachgeschmack

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Zum zwanzigsten Male fand heuer im Oktober die Internationale Filmwoche in Mannheim statt, zum zehntenmal unter der Leitung von Walter Talmon-Gros, dessen umfassender Geschmack und Filmkenntnis diesem aus einer Kurzfilmveranstaltung hervorgegangenen, heute weltweit anerkannten Filmfestival internationale Bedeutung und Ruhm zu geben verstand; nach der Filmrevolution des Jahres 1968 zeitgemäß „umstrukturiert“, ist die Mannheimer Filmwoche heute sowohl bedeutendster Treffpunkt junger deutscher Filmemacher, deren „politisch engagierte Zielgruppenfilme“ den größten Teil des umfangreichen Programmes bilden, als auch für seine Übersicht über die „besten Erstlingsspielfilme“ mit Recht berühmt.

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Zum zwanzigsten Male fand heuer im Oktober die Internationale Filmwoche in Mannheim statt, zum zehntenmal unter der Leitung von Walter Talmon-Gros, dessen umfassender Geschmack und Filmkenntnis diesem aus einer Kurzfilmveranstaltung hervorgegangenen, heute weltweit anerkannten Filmfestival internationale Bedeutung und Ruhm zu geben verstand; nach der Filmrevolution des Jahres 1968 zeitgemäß „umstrukturiert“, ist die Mannheimer Filmwoche heute sowohl bedeutendster Treffpunkt junger deutscher Filmemacher, deren „politisch engagierte Zielgruppenfilme“ den größten Teil des umfangreichen Programmes bilden, als auch für seine Übersicht über die „besten Erstlingsspielfilme“ mit Recht berühmt.

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So umfaßte das diesjährige Programm — um statistische Angaben zu machen — insgesamt etwa 130 Filme aus 23 Ländern, von denen innerhalb von sechs Tagen in 17 Wettbewerbsvorführungen 54 Werke, 53 weitere in elf Informationsschauen und eine Anzahl zu sätzlicher Filme in ergänzenden Veranstaltungen, wie „Filme des Jahres“, „Neueste Filme Mannheimer Preisträger“, und sonstigen Sonderveranstaltungen zu sehen waren — ein wahrhaft gigantisches Programm, das in ständigen Parallelveranstaltungen ablaufen mußte…

Einzelne Filme im Detail hervorzuheben, wäre unzweckmäßig — da die wenigsten von ihnen jemals bei uns zu sehen sein dürften beziehungsweise dann im Rahmen der wöchentlichen Filmkritik Erwähnung finden werden. Doch soll erwähnt werden, daß die beiden Erstlingsspielfilme „Sand“ von Peter Palitzsch (eine theatralisch beeinflußte Darstellung der Psyche des Theologiestudenten Karl Ludwig Sand, der am 23. März 1819 den Dramatiker Kotzebue ermordete) und „Bruno — der Schwarze“ von Lutz Eisholz (der Versuch der Lebensschilderung eines von der Gesellschaft ausgestoßenen Berliner Außenseiters) Zeugnis eines in der deutschen Bundesrepublik neu erwachenden Filmstils ablegen, was auch in den beiden neuen Filmen von Werner Herzog, „Fata Morgana“ und besonders in seinem „Land des Schweigens und der Dunkelheit“ (Szenen aus dem Leben der taubblinden Finni Straubinger, zu Recht mit dem Preis der Katholischen Filmarbeit ausgezeichnet), deutlich sichtbar wird. Als Anfängerarbeit läßt Hark Bohms „Einer wird verletzt, träumt, stirbt und wird vergessen“ aufhorchen — diese sicher noch nicht geschlossene und anfechtbare Studie verrät durch lyrisch-schöne Passagen ein kommendes Talent. Daß die Höhepunkte der Filmwoche in der Reihe der „Filme des Jahres“ zu finden waren, in Werken wie John Hustons (im deutschen Sprachraum sträflicherweise noch immer nicht gezeigten) „Walk With Love And Death“ oder Peter Watkin’s wie immer faszinierendem „Punishment Park“ ist nicht überraschend.

Trotz solcher durchaus lohnens- werter Ergebnisse scheint die Mannheimer Filmwoche in Gefahr zu sein, in eine gewisse Routine zu verfallen, deren Ansätze schon heuer merkbar waren; die immer stärkere Ausbreitung der deutschen Filmemacher mit „politischen Zielgruppenfilmen“ (bei denen fehlende Form durch äußerliches linkspolitisches Engagement lautstark vertuscht wird) engt die Veranstaltung immer mehr zu einer innerdeutschen Auseinandersetzung ein — ein Trend, dem die Verantwortlichen allzu bereitwillig, zweifellos um „Unruhen“ zu vermeiden, nachzugeben scheinen. Und wenn noch dazu im nächsten Jahr der Mentor der Filmwoche, Mannheims ebenso nobler wie liebenswürdigkluger Oberbürgermeister Doktor Reschke, seines Amtes und der vielen Quertreibereien müde, sich von seinem Posten zurückgezogen haben wird, dürfte die Veranstaltung in eine Krise geraten, die um ihren Fortbestand ernsthaft fürchten läßt. Es ist daher sehr zu hoffen und zu wünschen, daß die Leitung die bereits in diesem Jahr zu bemerkenden drohenden Anzeichen der Übermüdung und festgefahrenen Teilnahmslosigkeit nicht nur ebenfalls erkannt hat, sondern auch durch energische Maßnahmen — vor allem durch Eindämmung der Zulassung so vieler dilettantischer deutscher Beiträge unter dem Panier der politischen Aussage — bekämpft und so den Ruf einer wahrhaft internationalen Veranstaltung wiederherzustellen entschlossen ist.

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